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vorher - nachher

Es ist tatsächlich so, wie ich's allenthalben gelesen habe, aber nicht glauben konnte. Der Film ist nix. Als Ansammlung von unterschiedlich gelungenen Gags geht er durch. Als Gesamtentwurf dagegen produziert er Ratlosigkeit. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang die Reaktion einer Freundin aufschlussreich. Sie wusste vorher nicht, dass es sich um einen Coen-Film handelte. Sie erzählte mir, sie habe die ganze Zeit gedacht, hier werde mit untauglichen Mitteln der Coen-Stil imitiert. Als sich ihr erst am Ende die tatsächliche Autorenschaft der Brüder entdeckt habe, sei sie sehr erschrocken gewesen. "Ladykillers" sieht auch tatsächlich auf den ersten Blick aus wie ein Coen-Film. Die satten Farben. Die dichten Oberflächen, die schon beim ersten Hinsehen scheinbar eine Geschichte erzählen. Die Stilisierungen, die deshalb meistens so wirksam sind, weil sie sich aus einem tiefen Verständnis des Funktionierens von Situationen speisen. Häufig sind es in ihren Filmen mindestens zwei Themen oder Strukturen, die sich verschränken, konterkarieren, ergänzen, deren Aufeinandertreffen auf jeden Fall Funken erzeugt. An den Komödien ist das am deutlichsten zu sehen. In "Raising Arizona" ist es die Kombination aus den Komplexen Verbrechen/Strafverfolgung und Familie, die die Komödie anheizen und ihr einen gewissen Wahnsinn verleihen. In The Big Lebowski gehen der Wunsch nach totalem Stillstand und der Chandlersche L.A.-Private-Eye-Krimi eine Liebesehe ein. (Auch in "Ladykillers" gibt es einen Hinweis auf Chandler. Der Spruch "Re-elect Sheriff Wyner, because he is too old to go to work." auf einem Plaket im Sheriffbüro stammt aus "Die Tote im See". Dort lautet er - in der Übersetzung - "Achtung Wähler! Behaltet Jim Patton als Sheriff! Zum Arbeiten ist er zu alt!")
Diese Doppelbödigkeit geht "Ladykillers" leider ab. Die einzige strukturierende Idee scheint "Südstaaten!" zu sein. Die hat ja in Verbindung mit der "Odyssee" bei "O Brother, Where Art Thou?" auch blendend geklappt - auf sich allein gestellt hängt sie in der Luft.
Das liegt vor allem an der etwas lustlosen Handlungsführung, die selbst kein Thema entwickelt. Dabei orientiert sie sich recht genau an dem Original, distanziert sich aber genau in dem Punkt davon, wo größere Nähe von Vorteil gewesen wäre. So ist die Verbrechergemeinschaft in jeder Hinsicht heterogen. Alle werden von Anfang an als Typen gezeichnet, die weniger als nichts miteinander zu tun haben. Jeder hat seine Macke und seine extremen äußerlichen Merkmale. Keine Chance mehr ihn gegen die Gruppe abzusetzen und zu konturieren, er steht von vornherein allein. Damit steht dann aber auch fast jeder Gag allein und beziehungslos in der Gegend herum und ist allein auf seine Qualität angewiesen. Und die ist wie gesagt unterschiedlich. Und auch den Wahnsinn streift "Ladykillers" selten. Nie ein Moment in dem den Protagonisten völlig die Kontrolle entgleitet und - noch schlimmer - nie der verzweifelte, meist vergebliche Versuch, sie wiederzuerlangen.
Schade um Tom Hanks, dessen Performance ein wenig verschenkt erscheint. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube die Richtung stimmt nicht und damit wahrscheinlich die Besetzung. Verschlagenheit, die sich mit Liebenswürdigkeit tarnt (Alec Guinness), ist amüsanter und wirkungsvoller als Liebenswürdigkeit, der Verschlagenheit unterlegt ist (Hanks). Aber vielleicht ist das auch Quatsch. Kein Quatsch ist, dass ich J.K. Simmons sehr gut fand (war schon als Chefredakteur in Spiderman 1+2 spitze). Als Garth Pancake verleiht er "Ladykillers" seine besten Momente, indem er völlig aussichtslos versucht, Würde zu bewahren. Da atmet der Film für kurze Momente echte Komödie.

Die Mutter des gefallenen Soldaten, die am Ende des Films Washington besucht, sagt, sinngemäß: "Sie denken, sie wüssten bescheid, aber sie wissen es nicht!" Wie so viele Zeugen, die Michael Moore auftreten lässt, könnte auch dieser Satz von ihm selber stammen, gerade dieser Satz, denn er steht für Moores größtes Leiden, das Leiden an der Unwissenheit des Volkes, das den mächtigsten Mann der Welt wählt. Des betrogenen Volkes. Und wenn er am Ende aufruft "Do something", dann ist das die Maxime, der dieser Film entsprungen ist. Das ist kein Dokumentarfilm, das ist das, was Micheal Moore mit den Mitteln, die ihm gegeben sind, und das sind die der Dokumentation und der Montage, gegen George W. Bush und seine Camarilla tun kann. Er bildet keine Realität ab, er konstruiert sich seine eigene, die einiges mit dem, was wirklich ist, zu tun haben mag. Mehr zumindest, als das, was dem Durchschnittsamerikaner als Realität vorgesetzt wird. Die Moore'sche Realität ist zweifellos besessen, er ist polemisch, möglicherweise lügt er beizeiten, aber er hat sein Ziel immer vor Augen. Ich folgte ihm nicht bis zu diesem Ziel, aber ich folgte ihm zwei Drittel der Strecke, und das ist mehr als genug. Seine Argumente hätte Moore auch weniger spekulativ, mit weniger Entertainment, seriöser, wenn man so möchte, formulieren können - doch dann hätte er sein Ziel nicht erreicht, dass eben nicht nur ein kinematografisches, sondern ein gesellschaftliches ist. Er hätte die Massen nicht erreicht, an deren Unaugeklärtheit er so leidet.
Wenn der normale Künstler auf die Frage "Wollen Sie mir Ihrer Kunst die Welt verändern" herkömmlich mit "Nein" antwortet, Moore will es garantiert. Und da heiligt für ihn der Zweck die Mittel. Dass er eine ähnliche pauschalierte Angstmache, wie er sie der US-Administration vorwirft, den Saudis gegenüber betreibt, bleibt da wie so vieles Unsauberes oder fragwürdig Detektivisches ein Nebeneffekt. Und das kann es auch.

Denn eins kann man diesem Film nicht hoch genug anrechnen: Die Beziehung zwischen dem politischen Handeln einzelner und dem Leiden von Tausenden und Millionen, das daraus erwächst, aufzuzeigen. Dieses unfassbare Missverhältnis, dass zwischen den wie auch immer motivierten Entscheidungen Einzelner und dem Untergang ganzer Generationen besteht, und das sonst im Kino nur durch die Dämonisierung dieser Einzelnen aufgefangen werden kann. Und wenn er am Ende an die Verantwortung der Herrschenden gegenüber den Kindern des Vaterlandes, die es zu Soldaten macht, erinnert, ist er ganz bei sich und ganz glaubwürdig. Und natürlich ganz patriotischer Amerikaner.

Natürlich werde ich mir Fahrenheit 9/11 ansehen. Obwohl ich nicht mehr weiß, ob ich Michael Moore mag. Bei "The Big One" mochte ich ihn noch ganz, dann ist in unserer Beziehung eine ganze Zeit lang garnichts und dann "Bowling for Columbine" passiert. Ich finde es GUT, wenn Dokus polemisch sind, das macht einfach mehr Spaß. Es ist schön, wenn man ungetrübt wütend gegen die falsche Sache sein kann. Moore wurde, ich weiß nicht mehr wo, vorgeworfen, er "schlage ein totes Pferd" (to beat a dead horse) (im „Schnitt“?). Gemeint ist, dass er einen wütenden Film gegen eine Sache macht, bei der ihm ohnehin JEDER zustimme - Gesinnungsfilmerei, risikolose. Im Falle des Columbine-Films stimmt das eigentlich nur in Europa, in Amerika mag es anders sein, da gibt es doch recht viele Menschen, die abslout nicht seiner Meinung sind. Oder ist es so, dass er ohnehin nur innerhalb einer geschlossenen Zielgruppe wahrgenommen wird, und den redneck-Farmer nicht provoziert und in quälende Gedanken stürzt, weil der den Quatsch ja eh nicht wahrnimmt? Interessant wäre dann zu wissen, ob wirklich nur die Leute, die ohnehin seiner Meinung sind, auch in seine Filme gehen, oder ob er in den USA ein Stadium der Berühmtheit erreicht hat, das auch andere neugierig macht, sich das mal anzusehen. In einem Artikel in der aktuellen Zeit wird berichtet, dass die Kinos, in denen 9/11 und die, in denen der Christusfilm von Mel Gibson gezeigt wurden, nie dieselben waren - bis auf ein einziges Haus in New York. Ansonsten schön nach Landstrichen getrennt. Im Süden und in der Mitte Mel, an den Küsten Michael. (Fehlt nur ein -icha- in der Mitte.) Nach Columbine fand ich den Mann nach wie vor gut, aber fand auch, dass seine Polemik teilweise abglitt, dass Effekt und Selbstverliebtheit und Wahrheiten an der Grenze der Fälschung überhand nahmen. Im selben Artikel in der Zeit wird aber auch berichtet, dass Moore in 9/11 Bilder zeigt, die uns ganz gegenwärtig sind (Tote Kinder, tote Soldaten im Irak, und dergleichen), die aber im Amerika der Kabelnetworks bisher UNGESEHEN sind, die die Menschen in einem Land, in dem heimkehrende tote Soldaten per Erlass aus den Medien verbannt sind, einfach nicht kennen, obwohl sie den mächtigsten Mann der Welt mit dem dicksten Daumen am dicksten Abzug wählen müssen. Und hier, finde ich, hört ästhetisches Räsonieren auf - wenn es Moore gelingt, das Kino zu einem Fenster der unabhängigen Meinung in einem in seiner Fläche medial annähernd gleichgeschalteten Land zu machen, dann will ich nicht rumnörgeln, nein, da heiligt der Zweck auch teilweise fragwürdige Mittel.

Ist das dann Propaganda? Ja, meinetwegen, lass es das sein, es kommt ja immer darauf an, wofür. Stand-Up Propaganda.

Wenn 9/11 den Amerikanern etwas über ihr Land in der Welt, in der sie leben erzählt, dann erzählt es uns etwas über das Amerika, mit dem wir zusammenleben.

Ich erwarte einen der politischsten Filme seit langem, mit all seinen Grobschlächtigkeiten, und freue mich, dass das Kino im Land seiner WAHREN Geburt die gesellschaftliche Wichtigkeit zurückerhält, die es bei uns schon lange nicht mehr hat. Menschen gehen ins Kino, um etwas Unerhörtes über ihr eigenes Leben zu erfahren, um INFORMATIONEN zu kriegen. Dass das gerade aus den USA kommt, ist schon verrückt. Aber tüchtig gelacht wird sicher auch.

Oh natürlich, ein Amerikaner in Paris, ein Schriftsteller im Buchladen "Shakespeare and Company", DEM Treffpunkt der amerikanischen Intellektuellen in Europa, zum ersten Mal, in seiner ersten Inkarnation, für Hemingway, Pound und Konsorten, später, in der Form, wie er auch im Film zu sehen ist, der Treffpunkt der Beatgeneration, und nun also ein gealterter Slacker auf deren Spuren. In Europa auf der Suche nach dem besseren Leben. Das er hier schon einmal in Händen hielt - für eine Nacht. Habe ich gesagt gealtert? Am Anfang des Filmes sieht man Bilder von Jesse und Celine aus dem ersten Teil. Wir treffen sie wieder, erinnern uns, doch wie jung die waren... Sie treffen sich wieder, und das Wiedersehen ist zauberhaft unspektakulär und glaubwürdig inszeniert, so wie alles in diesem Spaziergang von einem Film so glaubwürdig ist: Die Direktheit, mit der die beiden das Gespräch aufnehmen, es führen, sich darin verspinnen wie in den Pariser Straßen, hie und da zeigen, wo's langgeht, um den Weg dann wieder zu verlieren. Die verspielte Offenheit, mit der sie sich erst ihr Leben erzählen, die dann zur direkten, verzweifelten Offenheit wird, wenn sie es sich nochmal erzählen. Wenn sie über das verlorene Leben nachdenken, das sie teilen, das sie nur kurz für eine reale Optiion hielten, dann für ein Traumgespinst, und das nun in all seiner Fülle und Unerreichbarkeit vor ihnen steht. Und dabei die ganze Strecke über einen leichten Ton halten, immer auf dem Sprung zur rettenden Neckerei, die, meistens vom anderen nicht gleich begriffen, nicht um ihrer Pointe, sondern um einer grundsätzlichen, zärtlichen Unernstheit willen dargebracht wird. Wunderbar, wunderbar spielen Delpy und Hawke, ich hatte tatsächlich einen Großteil des Films über andächtig meine Hände gefaltet. Vor diesen Menschen. Vor diesem Leben. Und davor, wieviel Linklater über seine, also unsere Generation, also über mich weiß. Und das in einem Film, nicht länger als ein Popsong, wie Jesse am Anfang über seinen nächsten Roman sagt, und doch ein ganzes Erwachsenenleben lang. Wie er ausgeht? Nein, hier kein Spoiler, aber ich habe es glaube ich nur selten erlebt, dass ein ganzes Kinopublikum so direkt mit einem Aufseufzen auf eine Filmende reagiert hätte. Ein wunderbares Ende, vor allem für diejenigen im Saal, die Optimisten sind.

Fangen wir mit dem Original an. Das hab' ich als Kind ganz oft gesehen, denn es gehörte zu den Filmen, die mit grundsätzlicher Familienaufmerksamkeit geadelt wurden. Es war ein Alec-Guiness-Film, so wie es Cary-Grant-Filme, Charlie-Chaplin-Filme, Alfred-Hitchcock-Filme und Heinz-Rühmann-Filme gab. Diese Namen sollten für Qualität bürgen. (Zwar habe ich bis heute etliche Filme mit Alec Guinness gesehen, aber keiner war mehr ein Alec-Guinness-Film, denn in keinem sah Alec Guinness so aus wie dort.) Ich fand "Ladykillers" immer schrecklich komisch, fühlte mich dazu allerdings auch verpflichtet, schließlich war ich gerade dabei, herauszufinden, was außer Slapstick im Fernsehen (in Gänze witzig) und dem örtlichen Kinoangebot von Spencer/Hill (klingt ohne Vornamen merkwürdig) bis Louis de Funés noch lustig sein könnte. Das war also schwarzer, bzw. englischer Humor. Leute sterben zu meinem Vergnügen - fand ich gut.
Vor wenigen Jahren habe ich den Film aufgenommen, kurz reingeschaut, ob's geklappt hat, archiviert, wegsortiert. Vielleicht ein Jahr später drüber gesprochen und im Kopf immer einen Schwarz-weiß-Film gehabt. Ich war dann doch richtig schockiert, dass der Film in Farbe war. Bestimmt acht mal gesehen und doch falsch erinnert. Liegt es an den tatsächlich blassen Farben, liegt es daran, dass mein historisches Gedächtnis farblos ist?
Und jetzt kommt das Remake und die Fotos, Trailer und das Plakat versprechen einen Farbenrausch. Angerichtet von den Coens. Und meine Erwartungen explodieren. Wenn der Film tatsächlich so farbig ist, wie ich ihn mir erhoffe, dann ergibt die Farbmischung mit dem Schwarz-Weiß meiner Erinnerung vielleicht eine ideale Farbe. Und wenn der Film so lustig ist, wie "Intolerable Cruelty", dann entstaubt er vielleicht das Original, über das ich beim letzten mal Sehen mehr geschmunzelt als gelacht habe. Tom Hanks als Alec Guinness (es gab nie einen Tom-Hanks-Film) wird als groteske Figur jeden Anschein von Wahrscheinlichkeit verlieren. Er wird mit Klischees überhäuft werden, und ich werde es genießen. Ich werde Bilder so grell und heiß sehen, dass sie zerschmelzen (Südstaaten!). Ich werde lachen, weil der schwarze, britische Humor mit seiner gelegentlich
etwas selbstgenügsamen Provokation keine wirkliche Rolle mehr spielt. Vielmehr wird es auf den Modus ankommen. Auf die Gesichter, mit denen halbgare Platitüden ausgespuckt werden, auf die ungemütliche oder gar zu entspannte Körperhaltung. Schließlich kann immer noch ein Pups mit rausrutschen. Es wird ein Fest. Hoffentlich.

Das Schöne daran, ein Filmfan zu sein, ist, dass dieser Seinszustand Momente wahrer und ungetrübter Freude bereit hält. Und dieses war einer. Der Moment, als ich mitbekam, dass Richard Linklater eine Fortsetzung von "Before Sunrise" gedreht hat. Denn die Vorfreude, die sich in mir breitmachte, wurde von keinem Zweifel getrübt, denn wir reden hier ja nicht von Terminator III. Nein, ganz klar, Linklater wird es gut, wird es richtig gemacht haben. Ethan Hawke und Julie Delpy würden so reizend sein wie vorher, nur älter. Wie auch ich älter bin. Sie würden sich wiedertreffen, und wieder nichts wissen und alles erhoffen, und sie würden sich Fragen stellen, was inzwischen war, und sie würden echte Menschen sein, die Dinge getan und gedacht haben, die viele andere und auch ich zwischen 1995 und 2004 getan und gedacht haben. Sie würden weiter die Gesichter meiner planerisch etwas losen und im Leben so unklar wie emphatischen Generation sein, und wer weiß, wer weiß, vielleicht wird aus ihnen ja was, aber ich glaube eigentlich nicht, dass Linklater seine beiden Täubchen so festlegen wird auf den Straßen von Paris.

 

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