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things i never told you

Für einen Fernsehtipp ist es wohl etwas spät, was? 23 Uhr ARD, Dominik Grafs toller "Hotte im Paradies", allerdings auch um 0:20 Uhr auf Arte. Vielleicht gibt's ja sogar noch eine Wiederholung. Bin zu faul zum Nachsehen.

Six Degrees of Separation (to Kevin Bacon) heißt das Spiel. Ich weiß wieder warum. Habe es wahrscheinlich immer gewusst. Habe mir gerade erneut (ich weiß, dass ich ein Triebtäter bin) „Bad Santa“ angeguckt und fühle mich in einer Szene stark an „Diner“ erinnert. Ebenfalls ein großartiger Film – einer meiner liebsten, das Popcorn! – , wenn auch etwas anders gelagert. Jedenfalls: in beiden Filmen wird ein Krippenarrangemant von einer unzufriedenen alkoholisierten Person stark und nachhaltig beschädigt. Ich dachte beim erneuten Sehen und beim Heranreifen der schlauen Erkenntnis: das sind ja nur zwei Schritte. Billy Bob Thornton ist in „Bad Santa“ der Stachel im Fleisch des harmonischen Arrangemants. Er spielt aber auch in Barry Levinsons „Bandits“ mit, in dem Cate Blanchett eine sensationelle, die rhythmische Zubereitung von Speisen verherrlichende Mitsing- und Tanzszene hat. Schließlich ist Barry Levinson der Regisseur von „Diner“. Und dort ruiniert – statt routiniert TV-Quizfragen zu lösen – kein anderer als Kevin Bacon die Krippe. Ihr Kritiker dieses Spiels mit KB im Mittelpunkt: Gebt es auf. KB gewinnt immer.

Ein Woody-Allen-Film, also reden wir über Woody Allen. Ein Woody-Allen-Film, in dem erfreulicher Weise alles ist, wie man es sich wünscht. Wie in den "guten alten" Filmen: New York, aufgeregte, schnelle Gespräche über die Zumutungen des Lebens, Angst vor dem Tod, der Liebe, wunderbare Gags, Psychiater, Schreiber, hysterische Frauen, Leidenschaft, Verzweiflung, Jazz, Jogger im Central Park...
Man fühlt sich sofort wohl in diesem Film, auf den ich schon lange gewartet habe. Wie in einem alten Cordjakett. Mit Lederflicken, versteht sich.

Nur eines ist nicht wie immer: Woody Allen. Seine übliche Rolle lässt er mal wieder spielen, diesmal von Jason Biggs, lustig schon in American Pie. Er selbst spielt eine andere, eine neue Figur, die der alten sehr ähnelt, aber in wichtigen Nuancen abweicht: Ein gealterter Gagschreiber, Ironiker, aber vor allem: Kein Verwirrter, kein Suchender, sondern einer mit einem festgefügten, zu Beginn etwas hysterisch erscheinenden Weltbild. Er stellt keine Fragen, er doziert. Seine Obsession: Selbstverteidigung, Schutz vor ihn umgebenden Feinden.

Leon de Winter hat in der aktuellen Cicero ("die" Cicero? Naja) einen Text darüber geschrieben, was es bedeutet, einen Feind zu haben. Einen Feind zu haben, bedeutet, dass es jemanden gibt, der dich töten will, egal, aus welchem Grund. Und du weißt es - da draußen ist jemand, der dich hasst, der dich töten will, und du kannst daran nichts ändern, du kannst nur damit leben, dich darauf einrichten.
Das ist, schreibt er, eine Erfahrung, mit der die Juden, er ist Jude, seit Jahrtausenden leben. Sie haben einen Feind, und sie wissen, dass sie es sich nicht einbilden, denn sie haben erlebt, was es bedeutet, wenn sie in seine Hände fallen.
Diese Erfahrung, schreibt er, macht nun die ganze westliche Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus. Er ist da radikal. Man solle sich nichts vor machen, ob man es möchte oder nicht, wir haben Feinde, die uns töten wollen. Dem mag man folgen oder nicht, die Überlegung, der Bewusstseinsunterschied ist es, der mir hier wichtig erscheint.
Wir, hier, heute leben seit Ende des kalten Krieges in einer Welt, in der wir keinen Feind zu haben glauben. Und selbst davor, in den Achtzigern, fühlte ich mich von der Bedrohung nicht wirklich gemeint, ich dachte: Der Feind der Sowjets bin nicht ich, es sind die Rechten, die uns regieren, ich werde nur bei dem Krieg, den sie anzetteln, mitdraufgehen. Ich habe nie geglaubt, dass der Russe mir persönlich ans Leder will, im Gegenteil.

In Woody Allens "Anything else" wird genau das verhandelt: der eine, der junge, Falk, glaubt in einer Welt ohne Feinde zu leben, in einer grudsätzlich heilen Welt, in der nur er irre ist. Die, die ihm zusetzen, verteidigt er. Der andere, der alte, Dobel, sieht sich von Feinden umzingelt.
Doch seine Ängste, seine Paranoia, die überall den Holocaust an der Wand entlang huschen sieht, ist nicht die übliche Allen'sche Paranoia, die Angst vor Krebs, vor Impotenz, Versagen. Denn Dobel ist eben nicht die übliche Allen'sche Figur, sie ist ein ironischer Pragmatiker mit tiefschwarzem, aber klarem Weltbild. Grotesk und tragisch ist seine Reaktion, nicht die Analyse. Er ist tatsächlich von Gewalt und Antisemitismus umgeben, und er zieht - sehr unallenhaft - die Konsequenz, sich zu wehren, nicht die, zu leugnen.
Dobel hat erkannt, dass es Menschen gibt, die ihm ans Leder wollen, und er tut, was er kann und schlägt ihnen die Windschutzscheibe ein, wenn sie ihn demütigen. Er ist ein Mann, der die Erfahrung dessen, was passiert, wenn man nichts tut mit sich herumzutragen scheint - nicht umsonst spricht er im Film einmal über die "Juden für Hitler", die sich arrangieren wollen. Sein Reflex, in der zivilisierten Welt, im modernen New York, stets ein "Survival Kit" bei sich tragen zu wollen, stets ein Gewehr in Griffweite, verliert bei der Projektion auf den Holocaust schlagartig an Skurrilität.
Die Szene, in der ihm von zwei fetten aggressiven Germanen eine Parklücke gestohlen wird und sie ihn ungeniert mit Prügel bedrohen und verscheuchen, ist ein Schlüssel: Genau das erwartet er von ihnen, und ist nicht bereit, es als Ausnahme, die nicht zählt, durchgehen zu lassen. Er wehret den Anfängen, kehrt zurück und rächt sich an dem Wagen. Eine in ihrer Ironiefreiheit, Pointenlosigkeit untypische Szene, die die direkte, dumme Brutalität des "Feindes" vermittelt - und die Nutzlosigkeit von Falks Vorschlag, sich damit zu trösten, man habe doch den besseren Verstand und könne eine böse Satire auf den Vorfall schreiben. Dobel zieht lieber den Schraubenschlüssel.
Diese toternste Szene zeigt, dass Dobel nicht spinnt. Er ist die Stimme der Vernunft, auch sonst schätzt er ja die Situation, in der Falk lebt, durchaus richtig ein.
Man könnte nun sagen, der Film spielt in New York, und auch hier ist am 9.11. eine Bedrohung, eine Feindschaft plötzlich Realität geworden. Die Bushadministration tut ja alles, um die US-Bürger stets daran zu erinnern, dass Menschen auf der anderen Seite der Welt sie angeblich zum Feind auserkoren haben.
Der liberale Allen als Prediger des Heimatschutzes gegen die Gefahr des islamistischen Terrors? Man will es nicht glauben. Zu recht.
Bleibt man beim Film, bietet Allen eine Alternative an: Bring deine Feinde nicht um (wie der rasende Dobel es am Ende tut), sondern erkenne sie - und gehe einfach weg.
Denn natürlich sind die Feinde Falks nicht die Neonazis, die den aus der Kindergeneration der Holocaust stammenden Dobel wahnsinnig machen - die Feinde des modernen Menschen sind jene, die ihn daran hindern, sein Leben zu leben.
Doch, so kriegen wir Allen noch von George W. Bush weg. Für ihn ist der Wunsch, sich mit der Waffe in der Hand gegen den Feind zu wehren, nicht albern, nur altmodisch, überkommen.
Er schlägt vor, den "Feind" an einer anderen Stelle zu suchen: Nicht im mittleren Osten, sondern zuhause. Ihn dort zu erkennen, ist weit schmerzlicher, ihm zu begegnen, ihn zu verlassen möglicherweise weit mutiger. In den Bildern des Films gesprochen: Es braucht mehr Mumm, eine Frau zu verlassen, die man liebt, als einen Mann zu erschießen, den man hasst.

Gefreut habe ich mich über die kleine Anspielung auf Bunuel. Als Falk und Amanda das Kino verlassen sagt ein anderer Kinogänger "Ich verstehe nicht, warum sie nach dem Essen nicht einfach weggegangen sind." Sie waren im "Würgeengel", in dem sich eine ganze Abendgesellschaft in einer ähnlich stangnierenden Situation befindet wie Falk. Bloß, dass es für sie kein Entrinnen gibt, während Falk den Ausbruch schafft.

Gestern morgen habe ich leider gezappt, statt einfach nur das schöne Frühstück zu genießen - man hätte damit ja auch auf den Balkon gehen können. Aber nein: "Schillerstraße". Ich habe ich mich kurz erinnnert, eine gruselige Ankündigung gelesen zu haben, Sat1 gehe demnächst mit einem völlig neuen Comedy-Format auf Sendung. Mehrere "namhafte Comedians" sollten da unter Führung von Cordula Stratmann in einer festgelegten Situation auf Anweisung improvisieren. Die Namen der namhaften Comedians jedenfalls erzeugten namenloses Grauen. Soweit mir bekannt, aber irgendwoher kennt man das Pack ja immer und sei es nur, weil man wegen einer verspäteten "Seinfeld"-Folge den Rest des "Quatsch-Comedy-Clubs" ertragen musste (Quatsch hat meines Wissens pejorativen Charakter, ist das also Selbstreflexion). Und nun das: Georg Uecker gibt anwesenden Improvisationsnieten a.k.a. Comedians Befehle wie:"Flirte auf sächsisch" und "Begehre den Barhocker" oder "Sag: Gerhard Schröder ist ein Außerirdischer". Sollte je eine Chance bestanden haben, dieses Format zu retten, dann doch wohl mit dem Nachempfinden bekannter Situationen, peinlich, pikant, wie auch immer. Anweisungen allerdings, die an sich schon schenkelkopfend herausgeprustet werden, sollten sogar von Spaßbremsen wie Martin Schneider und Annette Frier verweigert werden von wegen Restwürde. Und dann trat auch noch der spontanste Spaßvogel der deutschen Humorszene auf: Helmut Zerlett. Positiver Nebeneffekt: Bin vorerst von allen Neugieranfällen bzgl. Comedy geheilt. Sorge: Auch "Anke Late Night" hat als Therapeutikum nur ein paar Monate gehalten.

10sa1

Will mich da ja nicht festbeißen, aber doch. Sollte mal die Geschichte der Darstellung der Zwischenkriegszeit im neuern deutschen kino geschrieben werden, sollte man sich der Sache über Licht und Farbe nähern. Das hat Methode, und mir passt die ganze Richtung nicht.

Siehe:
http://kinopel.twoday.net/stories/304245/

Morgen, am 31.08.2004, läuft um 22.25 Uhr auf 3Sat ein Programm mit mehreren Kurzfilmen von und einer Kurzdoku über Jan Svankmajer. Svankmajer, der am 4. September 70 Jahre alt wird, ist einer der herausragenden europäischen Animationsfilmer. Dem Surrealismus nahe stehend entwirft er seit den 60ern in seinen Kurzfilmen groteske, faszinierende, beunruhigende, sarkastische Visionen. Dabei sind seine Filme formal bestechend und mit einem Schwindel erregenden Einfallsreichtum gesegnet. Das Programm setzt seinen Schwerpunkt eher auf die spätere Schaffensphase Ende 80er/Anfang 90er, kurz bevor sich Svankmajer verstärkt dem Spielfilm zuwandte. Ein absolutes Muss. Wer das verpasst, hat allen Grund, sich grün und blau zu ärgern.

Wahrscheinlich passiert es jeden Tag und ungewöhnlich ist was anderes, aber ich fand's hübsch. Ich sehe mir gerade "Captain Blood" an, einen großartigen Piratenfilm, dessen Sets und ihre Ausleuchtung einem den Atem rauben, genieße die geschmeidigen Bewegungen von Erroll Flynn und den schmierigen Charme von Basil Rathbone, die sich ein glänzendes Degenduell liefern, als die Blase drängt. Ich stoppe den Videorekorder und Fechten läuft weiter, jetzt aber Mannschafts-Halbfinale im olympischen Degenwettbewerb, Deutschland-Frankreich 44:45. Und sofort weiß ich wieder, warum ich Sportfechten im Fernsehen ganz gerne sehe. Als fernen Nachhall der Kämpfe, in denen es immer mit einem Lächeln auf den Lippen um Leben und Tod ging.

P.S.: Vielleicht weiß zufällig jemand, was es mit der Musik (Original: Erich Wolfgang Korngold) in der deutschen Tonfassung auf sich hat. "Captain Blood" lief nämlich auf Arte in Zweikanalton und Hin-und Herschalten zwischen den Tonspuren ergab, dass die Musik ganz und gar nicht identisch ist, sondern lediglich gelegentliche Überschneidungen aufweist. Ansonsten ist die Musik in der deutschen Fassung eher melancholisch und etwas behäbig, während sie in der Originalfassung wildromantisch und aufbrausend ist - und erheblich wirkungsvoller. Ist die Musik auf der deutschen Tonspur überhaupt von Korngold? Oder bin ich am Ende schwerhörig?

Ich hatte schon ein bisschen Bammel, mir „Coffee and Cigarettes“ anzusehen und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum Einen ist die Begeisterung, die ein neuer Jim-Jarmusch-Film einst bei mir auslöste von Jahr zu Jahr doch deutlich gesunken – standen also zwei Fragen im Raum: Sind die alten, mir bekannten Kurzfilme noch so gut, wie ich sie in Erinnerung habe, und sind die neuen vergleichbar gut, sind sie retro, selbstreflexiv, sind sie lediglich Variationen, emanzipieren sie sich, machen sie Spaß oder nicht? Zum Anderen: Wie guckt man sich die alten Filme als Nichtraucher an, wenn man sie als Raucher kennen und lieben gelernt hat? Und wenn man die neuen sieht, spielt es dann eine Rolle, dass Jim Jarmusch mit dem Rauchen aufgehört hat? Und hat er das überhaupt jemals oder war man nur so doof, „Blue in the Face“ zu ernst zu nehmen, der ja schließlich kein Dokumentarfilm ist? Und wenn Jim Jarmusch je mit dem Rauchen aufgehört hat, woher soll man wissen, dass er nicht wieder damit angefangen hat, bevor er auch nur einen weiteren „Coffee&Cigarettes“ gedreht hat? Was davon kann man sehen oder glaubt man sehen zu können?
Gesehen habe ich nun erst mal die ersten beiden (Wright & Benigni, 2x Lee & Buscemi) und das war recht aufschlussreich. Nicht dass ich ernsthaft rückfallgefährdet wäre, aber Rauchen kann doch recht verführerisch dargestellt werden. Da ist der erste C&C sehr beruhigend. Er ist noch fast so gut wie damals und er macht etwas, was sich mir erst durch die zweite Perspektive erschließt: Er schmiegt sich dem Rauchen (und natürlich auch dem Kaffeeetrinken) an. Fast möchte ich sagen: So ist Rauchen. Eine Selbstverständlichkeit für Raucher und je nach Disposition Rauchers kaum noch Genuss; eine kaum mehr nachvollziehbare Notwendigkeit, die in ihrer Kaltschweißigkeit trotzdem einen rätselhaften Reiz ausübt. (Vielleicht ist der Kuss einer Raucherin die schönste Möglichkeit, daran teilzuhaben, ohne wieder anfangen zu müssen. In der Schule hieß das immer in dieser drastisch-pragmatischen, jedenfalls völlig unromatischen Sprache: einen Aschenbecher ausschlecken. Schien mir trotzdem immer attraktiv.) Jedenfalls wollte ich nicht wieder mit Rauchen anfangen, trauerte aber auch dem damaligen Einverständnis nach.
Jedenfalls freue ich mich auf die restlichen Filme. Obwohl ich noch gar nichts Neues gesehen habe. Die Jim-Jarmusch-Skepsis ist verflogen. Mindestens der mit Bill Murray muss gut sein. Muss.
P.S.: Ob man sieht, dass Jarmusch nicht mehr/wieder raucht/immer geraucht hat, bleibt noch zu klären/muss für immer im Unklaren bleiben.

Hoffnung spendet Folgendes: In "I, Robot" wird von Harold Lloyd, dem "Filmstar" gesprochen. Und das in einem Blockbuster, der - in der Gegenwart gedreht - in der Zukunft spielt. Da spielt es fast keine Rolle mehr, ob die finale Akrobatik in luftigen Höhen als Hommage zu verstehen ist.

Rein zufällig habe ich Fahrenheit 9/11 nach dem Genuss von zwei Folgen aus der ersten Staffel von West Wing zu mir genommen. Ein gnädiger Zufall, denn das passt ungemein. Zum einen sind dies wohl die beiden wichtigsten medialen Ereignisse, die sich mit US-Präsidenten beschäftigen, und sie zeigen den Ausschlag des Pendels in beide Richtungen im Extrem: Während man den realen Präsidenten nach Fahrenheit 9/11 natürlich sofort aus dem Amt jagen möchte, möchte man den fiktiven in selbiges heben. Möglicherweise enthalten beide Konstrukte ein ähnliches Maß an Fiktion und Abbildung wahrer Gegebenheiten. Auf jeden Fall wird mit Jed Bartlet, dem Präsidenten in der Serie, ein Mann gezeigt, der, wiewohl nicht perfekt, ein gleichzeitig intellektuelles wie moralisches Schwergewicht ist, der die Potenziale, die ein Politiker für dieses Amt mitbringen kann, voll ausschöpft - George W. Bush beschreibt in seiner Person das glatte Gegenteil.
Ein tragisches Verhältnis von Fiktion und Realität, möchte man meinen.
Zum zweiten: Beide Filme basieren auf ihre Weise auf dem schwer zu verstehenden Missverhältnis zwischen der Menschlichkeit jedes Mächtigen und der Macht, die ihm sein Amt, seine Stellung verleiht.
Wie kann einem einzelnen Menschen durch eine Wahl ein solcher Einfluss auf Millionen eingeräumt werden? Wie kann er, nachdem diese Macht in ihn geflossen ist, noch ein herkömmlicher Mensch sein? Wie ist die Diskrepanz zwischen der Zeit am Tag, zu der ein Präsident das Schicksal ganzer Nationen entscheidet, und der, zu der er sich mit dem Golfspiel oder dem Betrachten von Sportübertragungen beschäftigt, begreifbar? Wie kann sich ein solcher Mensch überhaupt noch für Sport begeistern? Muss die Macht ihn nicht verändern, dem normal-menschlichen entheben?

Michael Moore beantwortet diese Frage, in dem er nachzuweisen Versucht, dass das "Erhabene" der Macht im Mächtigen selbst keinen Raum hat, dass er für dieses Erhabene kein Bewusstsein hat, dass er die Verantwortung Macht, die ihm gegeben ist, nicht empfindet.
Daher die Szenen beim Golfspiel, auf der Farm, etc.

Er zeigt, dass er die Macht eim Gegenteil schamlos zu seinem Vorteil nutzt, wie er alles zu seinem Vorteil nutzt, dass die Position als Oberkommandierender der schrecklichsten Streitmacht der Welt für ihn also keine andere moralische Dimension hat als etwa der Job als Chef einer maroden Ölfirma: Er versucht für sich und seine Kumpels rauszuholen, was rauszuholen ist. Das ist, wenn es stimmt, schlimm, aber andererseits erfreulich pragmatisch: Ideologische Verblendung, Hitlereske Verbrechen aus Leidenschaft oder Weltbeherrschungsfantasien unterstellt Moore ihm nicht. Es hat etwas merkantil-dümmliches, nichts irrational-ideologisches. Der Mann wird aufhören, Länder zu bombardieren, wenn es sich für ihn finanziell nicht mehr lohnt. Und konsequenterweise bleiben im Film Bushs irrational-ideologischen Seiten, sowohl sein Erweckungs-Christentum als auch die neo-konservative Doktrin seines Beraters Wolfowitz, außen vor. Er zeigt Bush eben nicht als Machtmenschen, sondern als Menschen, der garnicht begreift, was Macht ist, und sie eben darum umso ungehemmter einsetzt: Ein Krieg ist für ihn nichts anderes als ein cleverer Geschäftsdeal.

Die Frage, wie normale Menschen mit der Macht, die auf sie gefallen ist, umgehen, ist auch eine der wichtigsten dramaturgischen Triebfedern von "The West Wing". Denn ein Mensch verändert sich nicht im Inneren von dem Moment der Präsidentenwahl an, er bleibt, was er schon vorher war. Seine Wirkung verändert sich. Und deswegen können eben nur besondere Menschen wie Jed Bartlett, die schon vorher "Präsidentenhaft" gewesen sind, diese Rolle wahrhaft einnehmen, denen also schon immer etwas Übermenschliches anhaftete, wie man es von ihm annehmen muss und soll. Genug wird angedeutet: Uralter Ostküstenadel aus Revolutionszeiten, Nobelpreisträger, Wirtschaftsprofessor, ein wandelndes Lexikon und, immer wenn es drauf ankommt, auf den Punkt informiert und verblüffend kompetent. Nicht, dass nicht gezeigt würde, woher ein großer Teil dieser Kompetenz stammt, nämlich aus Briefings, aus dem ihn umgebenden Apparat, aber ein Rest bleibt, der auch immer wieder seine "Staff" erstaunt. Und gerade das Erstaunen und die Ehrfurcht dieser Vollprofis, die ja eigentlich genau wissen müssen, wie dieser Präsident funktioniert, vor ihm und seinen geistigen und moralischen Fähigkeiten ist es, das ihn dem Weltlichen ein Stück enthebt, eigentlich erst zum wirklichen Präsidenten macht, eine erhabenes Etwas, das außerhalb des "West Wing" überhaupt nicht vom normalen, medial erzeugten präsidialen Rest zu unterscheiden ist - das wirklich Präsidentenhafte enthüllt sich nur den engsten Mitarbeitern und durch ihre Wahrnehmung natürlich auch den Zusachauern.
"The West Wing" also schlägt den Präsidenten vor, dem es in die Wiege gelegt worden ist, einen Berufenen, der die Last auf sich genommen hat, weil er - vielleicht als einziger - wirklich dazu in der Lage ist. Die Mechanik des Weißen Hauses hilft ihm, Präsident zu sein - sie kann ihn nicht dazu machen.

Moore fährt gehörigen Aufwand auf, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit schlechter und schlichter ist als das Bild, das die Medien zeigen - in "The West Wing" reichen stille Momente der Bewunderung der "Staff", an denen wir teilhaben dürfen, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit besser ist als das Bild, dass im Land durch die Medien ankommt. Und das gerade jene anderen Protagonisten der Serie in so aufreibender Arbeit an das des wahren Präsidenten heranführen müssen. Was für ein schöner Trick.

Während der Mooresche Ansatz bei aller Empörung über die Realität ein wenig beruhigend ist - er entzaubert die Macht, macht sie berechenbar - ist der von "The West Wing" erhaben, aber auch deprimierend: Einen solchen "geborenen" Präsidenten wird es nicht geben, und wenn es ihn gibt, wird er nicht Präsident werden. Die Person, die schon, bevor sie die Macht hat, die entsprechende Persönlichkeit bereithält, ist ein momarchistischer Mythos, ironisch, dass dem gerade der Erbfolger George Bush II als Gegenbild des maximal ohnmächtigen (im beschrieben Sinne) gegenübersteht.

 

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