95 Thesen
anfangsdinge
Berlinale 2005
blockbusters!
Der Tod bei der Arbeit
Der Zufall, moeglicherweise
Ein andalusischer Film
Gegendarstellung
Grosse Kulturleistungen
It's only DVD but I like it
love etc.
mythen des alltags
Portrait of a serial actor
schau das an, Kisch!
Seasons in the Sun
things i never told you
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

 
Ich verdanke Samuel Fuller ein einschneidendes Kindheitserlebnis. Als Knabe spielte sich meine Kinowelt zwischen „Vier Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“ und „Asterix erobert Rom“ ab. Filmunterhaltungen bestanden daraus, sich gegenseitig minutiös zu erzählen, wie eine Schlägerei ablief („Und wie der dann so DOSCH gemacht hat!“) In unserer Stadt gab es vier Kinos – echte Kinos, jedes von ihnen mit nur einem Saal, ausladenden Vordächern, Süßigkeiten am Kartenschalter. Und Lämpchen am Platz (Verzehrkinos, euch gilt meine Liebe). Im „Germania“ hatte man sich spezialisiert: Am Nachmittag Kinderfilme („Die Schlümpfe und die Zauberflöte“), am Abend Lederhosen- und Schwedensexfilme. Dazwischen auch mal was im Stil von „Die Wildgänse kommen“, ein Film, der sich bei späterer Sichtung als recht harmlos erwies, allein dessen Plakat und die Berichte von anderen Jungs, die ihn gesehen hatten (oder es behaupteten) mein Blut in den Adern erstarren ließ. Ich war zehn, und schwankte zwischen Faszination und Schrecken, denn in einem Kriegsfilm war ich noch nie gewesen, hatte auch sonst nur eine sehr unklare Vorstellung vom Krieg (die sich vor allem aus Modellbauanleitungen speiste), und erwartete das Schlimmste. Also ging ich nicht rein, was nebenbei bemerkt, im finanzschwachen Germania kein Problem gewesen wäre. Aber: Nach einiger Zeit lief dann „The Big Red One“ im Germania an, wieder ein Kriegsfilm, wieder stand ich schaudernd vor den in den Glaskasten gepinnten Farbbildern. Und diesmal, inzwischen schwer gealtert, lenkte ich meine Schritte zaghaft, aber eben doch ins Kinofoyer. Ich war erschüttert. Von dem, was dargstellt wurde, aber auch davon, wie es dargestellt war. Ich tat einen ersten Blick auf das, was Kino eigentlich ist, und es war schrecklich. Ein Film, vor dem ich Angst hatte, und dann merkte, dass ich allen Grund dazu hatte. „The Big Red One“ ist für mich der archetypische Kriegsfilm geblieben, obwohl er fast komplett aus meiner Erinnerung verschwand. Und gleichzeitig wenige Filme seines Genres je seine Wirkung erreichten. Einzelne Bilder, wie der verzweifelte deutsche Soldat, der sich in einem Ofen des Krematoriums eines KZs hinter seinem Maschinengewehr verschanzt, bleiben in Erinnerung. Ich fühlte mehr, als dass ich es Begriff, mit welcher Macht dieser Film sein Thema, den Krieg in Europa, gestaltete, mit welchem bitteren Ernst. Und gerade dieser Ernst war es, den ich bis dahin nicht kannte und der mich erschreckte. Gewalt, die nicht komisch, sondern tödlich schmerzhaft war. Ich ahnte nicht, dass das Kunst ist, wusste nicht, wer Sam Fuller ist. Und musste nun nach langer Zeit wieder an „The Big Red One“ denken, als ich las (bei knoerer), dass eine annähernd wiederhergestellte Version des von Fuller ursprünglich geschnittenen Films in die Kinos kommt. Wobei ich zum ersten mal hörte, dass „The Big Red One“ in die Reihe der großen zerstörten Filme („Que Viva Mexico“, „The Magnificent Ambersons“, „Queen Kelly“) gehört: >>Fuller's own two versions had no narration. His first cut was 260 minutes, his second two hours. "Second cut they hated," he told me. "They wanted the elements of the four hours and 20 minutes. Sizewise, impossible. In my cut I took out sequences -- I don't circumcise or shorten scenes. That's when they hit the ceiling."<< Ja, darauf wäre ich wirklich gespannt. Das möchte ich gerne sehen – schade, dass es das „Germania“ nicht mehr gibt.
Blake Falls meinte am 10. Dez, 13:53:
Hach, die "Jugendvorstellungen" Sonntag Vormittag 11 Uhr: "King Kong gegen Godzilla", "Frankenstein und die Monster aus dem All", "Maciste - Held von Troja", "Herbie - ein Käfer lernt das Fliegen" , "Sie nannten ihn Mücke"...
Draußen dann die Plakate vom "Horror Alligator", "Emanuelle 5".

Der größte Mythos überhaupt: Bahnhofskinos. ("Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne", "Die Insel der blutigen Plantagen"). Traumorte, heute leider völlig verschwunden.

Diesen Sommer in Sarajevo im "Bosna Film Filmclub" noch mal auf Cordkinosesseln gesessen und diesen leicht modrigen Duft eingezogen. Hach, aber da liefen eben auch schon "Dirty Pretty Things" und eben kein Söldnerfilm mit Lewis Collins, Lee van Cleef und Kinski. 
bähr antwortete am 11. Dez, 23:53:
Neben dem HBF in Hamburg steht doch noch eins? Und der Zoopalast ist doch letztlich auch eins? Was macht das Bahnhofskino aus? Ich habe leider aus meiner Jugend keins vor Augen - sowas gab es bei uns nicht. Bitte um Beschreibung! Ich bin in einer Welt von Verzehrkinos aufgewachsen. Und die gibt es - Gott sei Dank, wie ich finde - immer noch. Sie haben leider meistens ein Scheißprogramm, aber irgendwie mag ich sie. 
Blake Falls antwortete am 14. Dez, 13:57:
Bahnhofskinos gab es ja leider nur bis kurz vor den Porno- und Videoboom in den 80ern, eben in einer Zeit als das Genrekino hier in Europa in seiner vollen Blüte stand, weil im Bahnhofkino durften zuletzt schon per Definition ja nur noch echte "Schundfilme" laufen. Filme für Handlungsreisende Männer auf der Durchreise eben. Vielleicht mal ein dreckiger Italowestern oder Shaw Brother-Klopfer, aber meist dann doch "6 Schwedinnen in Oberbayern" oder "Black Emanuelle". Wobei ich da auch nur aus teenagerhaft verklärten Erinnerung berichten kann.

Ich selbst kann mich nur noch an das im Stuttgarter Bahnhof untergebrachte Kino erinnern und einmal habe ich auch mit leuchtenden Augen die Aushänge im Münchner Hauptbahnhofskino begutachtet. Würde mich wirklich sehr interessieren, was ein regelmäßiger Besucher, dieser in ihrer Endphase doch sehr verufenen Traumorte zu berichten wüsste.

Bei der Recherche im Netz bin ich gerade auf folgenden hochinteressanten Artikel gestoßen:

http://www.geocities.com/joachimbiemann/beil/info/aki1.htm

Demnach war der Ursprung des Bahnhofskino in Deutschland eher ein aufklärerisch, wenn nicht sogar kulturell hoch motivierter. Wirklich sehr interessant und wenn ich mir das jetzt so durch den Kopf gehen lasse, eigentlich auch heute noch ein super Konzept.

So ein 20-40 Sitze Kino, richtig schön dunkel, an den Wänden alte "Der Mohn ist auch nur eine Blume"- oder "Wiegenlied vom Todschlag"-Plakate. Kleiner Bier- und Karten-Schalter und ein Programm das sich vorwiegend aus den Archiven des Werkstattkinos München speißt (vielleicht dazwischen auch aktuellerer Trash, mal ein "Walking Tall", "Anacondas" oder eben härtere Arthouse-Kost a la "Seul Contre Tous", "Irreversible" oder "Anatomy of Hell" - unbedingt natürlich auch "Brown Bunny").

Wenn da jemand einen geeigneten Ort wüsste, ich wäre sofort dabei so was mit durchzuziehen (meine Mail: OvercomeMediocrity@hotmail.com)

Apropos tolle Kinos, so was wie das Riff-Raff (http://www.riffraff.ch/) oder das Xenix (http://www.xenix.ch/) (beide Zürich) hätte ich wirklich gerne in meiner nächsten Nähe. 
bähr antwortete am 22. Dez, 23:16:
Danke für die Infos! Ja, das ist ja wirklich anders als angenommen.
Sowieso interessant, zu jedem Filmfreund gehört ja sein Traum-Kino. Was es zeigen müsste. Ob er es selbst schmeißen wollte oder nur immer hingehen möchte. Wer da noch so reingehen sollte. Technische Features. Naschiverkauf. Umgang nit Filmkultur, mit Blockbustern.
Da würde sich eine Erhebung - oder ein prachtvoller Bildband mit Skizzen, Filmlisten, Fotos lohnen... 
 

twoday.net AGB

xml version of this page (summary)

powered by Antville powered by Helma

Site Meter