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"Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer das Jetzt kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit", so der Slogan der regierenden Partei in "BIg Brother" von George Orwell. Nur zu wahr: Stalin bewies schon etwas davor die praktische Richtigkeit dieser Devise, indem er, wie ja bekannt ist, nicht nur missliebige Genossen wie etwa Kirow physisch aus der Partei und aus dem Leben entfernen ließ. Nein, er ließ sie auch aus der Geschichte entfernen: Noch bevor Trotzki in Mexiko einen Eispickel in den Rücken bekam, wurde er aus zahlreichen Foto und Filmdokumenten entfernt. Umgekehrt ließ Stalin sich selbst in Bilder hineinretuschieren, etwa in solche, die Lenin zeigen, um die Wichtigkeit seiner Person bei Entscheidungen während des russischen Bürgerkrieges zu behaupten.
Diese Praxis der Stalin-Kommunisten ist ein so treffliches Beispiel, da sie so physisch ist - selbst die Uminterpretation etwa der Befreiungskriege durch die Nazis in "Kolberg" ist zwar ein ähnliches Manöver, aber sie ist ganz deutlich nur EINE Interpretation, daneben standen zahlreiche andere, die damals auch und heute erst recht zugänglich sind (naja, vielleicht nicht Ende 44, aber was war da schon zugänglich) . Unter Stalin gab es dieses "andere" nicht mehr (zumindest von der Intention der Fälscher her), es wurde physisch ausgemerzt. Die Vergangenheit sollte geändert werden, damit sie aus den Köpfen der jetzigen und erst recht der nachwachsenden Generation verschwindet.
Letztlich findet sich diese Idee, die Vergangenheit zu manipulieren, um die Machtverhältnisse der Gegenwart zu gestalten, auch in den Terminator-Filmen wieder. Die Terminatoren werden in die Vergangenheit geschickt, um die Machtverhältnisse der Gegenwart zu ändern: John Connor soll getötet werden, damit er nicht der heroische Feldherr wird, der die Maschinen besiegt. Er soll aus der Gegenwart verschwinden - plopp. Es gibt eine ausgesprochen nette Simpsons-Episode zu dem Thema, in der Homer in die Steinzeit zurückreist, dort auf eine Pflanze tritt und dadurch einige Verschiebungen in der Gegenwart auslöst.
Und nun sagt James Cameron (sinngemäß) in einem Interview auf der "Terminator 2 German Ultimate Edition"-DVD über recht viele zusätzliche Szenen, die dem Film in dieser Edition hinzugefügt wurden: "Ja, was wir tun, ist in etwa das, was auch der Terminator tun soll, er ändert die Vergangenheit. Wir zeigen, wie der Film noch hätte sein können, andere Möglichkeiten." Was bedeutet das? Ich unterstellle Cameron nur die harmlosesten Motive - doch das, was er gemacht hat, ändert doch so einiges. Zahlreiche Interpretationen seines Werks etwa. Das sind ja keine Nebensächlichkeiten die plötzlich auftauchen, da eröffnen sich ganze Neudeutungen. Denn er gibt ja nicht nur eine andere Möglichkeit preis - eigentlich ist ein solches Vorgehen (wie auch das von George Lucas) stalinesk. In den hiesigen Videotheken gibt es nur noch diese Variante im Verleih, das darf man hochrechnen. Das heißt, da der Film im Kino in seiner ursprünglichen Version wohl kaum noch laufen wird, haben wir jetzt die extended version als Original vor uns liegen. Was tut man nun, wenn man, wie ich, gerade über dieses Werk arbeitet? Was ist "das" Werk? Was ist meine Bezugsgröße? Der Film, der mal in den Kinos lief? Der neue, da er ja in Zukunft der meistgesehene sein wird? Was sagt das über die interpretatorische Verwertbarkeit von Kinofilmen. Das Kino wird plötzlich zum in der Rezeption schwächeren Seh-Ort. Oder soll man sich auf beide beziehen, fein säuberlich getrennt? Dazu darf man dann beide Varianten erstmal vergleichen, rausfummeln, wo eine neue Szene ist, wo nicht... Listen gibts da nicht. Und wie gesagt, Cameron wird nichts schlimmes im Sinn haben mit der "Terminierung" seines alten Filmes. Gleiches gilt sicher für den Technikfreak George Lucas, der für die DVD-Ausgabe der StarWars-Filme nun tricktechnisch überarbeitete Versionen vorlegt, die die alten völlig ersetzen - sie wird man nicht mehr kaufen können. Für den, der die Filme in seiner Kindheit sah und sich an sie erinnern möchte, wie sie waren, schon traurig, für den Historiker ein Katastrophe.
Was aber ist mit Künstlern, denen Interpretationen ihrer Filme nicht gefallen, und darauf reagieren, indem sie an den Dingern für eine Neuausgabe herummanipulieren? Ich denke an Leni Riefenstahl, während derer letzten Lebensjahre der zweite Olympiafilm nicht mehr vorführbar war, weil die Gute, die noch die Rechte an dem Streifen hielt (genauso wie an "Triumph des Willens" - die Filme durften nur mit ihrer Einwilligung gezeigt werden. Schon das skurril genug.), die also noch die Rechte hielt, den Film noch umschnitt! In den 90ern des letzten Jahrhunderts schnitt Leni Riefenstahl "Fest der Schönheit" noch um! Möglicherweise wäre daraus noch eine wunderschöne "1000-Jahr-Spezial-Edition" auf DVD geworden. Mit Kommentar.
Ich sehe nicht, wo das hinführen soll, bald wird man jeden Film mit einem kritischen Apparat wie zu den unterschiedlichen Denkmälern des Nibelungenliedes versehen müssen.
- Hey, welche Fassung hast du gesehen? Die German Limited Edition?
- Nein, den Special Authorized Director's Cut.
- Ist das derselbe wie auf der 2002er DVD?
- Keine Ahnung - explodiert da am Ende das Haus?
- Nö.
- Dann nicht...

Kann ja heiter werden.
Blake Falls meinte am 29. Okt, 10:38:
Variety umgeht dieses Problem schon seit Jahren elegant, indem sie jeder Review Angaben zur Version, dem Ort und sogar dem Datum hinzufügen, auf deren Grundlage die Kritik beruht.

Halte ich für eine gute Idee, weil im Grunde setzt das Problem doch viel früher an. Über Filme, wie beispielsweise "2046" oder zuletzt "Brown Bunny", konnte man zunächst ausführlich anlässlich ihrer Premieren in Cannes lesen. Beide wurden aber nachträglich noch einmal erheblich verändert (teilweise auch in direkter Reaktion auf das damalige Medienecho).

Es wird hierzulande ja auch gerne totgeschwiegen, dass die in Pressevorführungen gezeigten Versionen von Kinofilmen, in sehr vielen Fällen gar nicht mit der dann letztlich dem breiten Publikum vorgeführten Version übereinstimmen. Persönlich ist man natürlich mehr als dankbar dafür, hier meist noch die amerikanische Originalversion auf Leinwand sehen zu können, bevor diese dann für die dt. Vermarktung überarbeitet wird, aber eine ehrliche Berichterstattung ist so natürlich nicht möglich.

Dabei geht es ja längst nicht nur um das Thema Synchronisation (die an für sich schon einen großen Unterschied machen kann - dazu braucht man z.B. nur einmal die absichtlich auf eine größere "Massentauglichkeit" (sprich: Verdummung) uminterpretierenden Synchronisationen vor allem der Firmen UIP und Universum vergleichen).

In vielen Fällen (zuletzt beispielweise bei "Troja", "Punisher", „Man on Fire" und, da bin ich mir allerdings nicht ganz sicher, aber ich glaube auch bei "Hellboy" und "King Arthur") wurden nachträglich Szenen für die dt. Kinoauswertung entfernt, um so beispielweise eine niedrigere Alterfreigabe zu erhalten. Gerade dieser Sommer, mit all seinen auf eine US-Freigabe von PG-13 (also ab 13) angelegten Filme, hat dazu geführt, das die Verleiher mit Filmen dastanden, die für eine 16er Freigabe eigentlich fast zu harmlos, für eine Veröffentlichung ab 12 allerdings immer noch zu hart waren. Folge: man schneidet einfach ein wenig runter und geht mit einem gekürzten Film ab 12 ins Rennen.

Das mit dem Schneiden von Kinoversionen macht man inzwischen ja auch alleine schon deswegen, um so für die DVD-Veröffentlichung mit einer längeren Fassung werben zu können (siehe zuletzt z.B. "Bad Boys 2" oder "Welcome to the Jungle" die auf ihrem DVD-Cover ein „Länger als die Kinoversion“ tragen). Auf DVD spielt es einfach keine so große Rolle ob "Troja" nun eine Freigabe ab 12 oder eine ab 16 erhält, ja im Gegenteil, eine höhere Altersfreigabe stellt gerade für jüngere Konsumenten sicher einen sehr viel höheren Reiz dar, verspricht sie doch soviel mehr Verbotenes. 
bähr antwortete am 29. Okt, 23:34:
Problematisch ist natürlich auch, dass Rezensenten natürlich auch garnicht wissen, ob der von ihnen besprochene Film so auch im Kino zu sehen ist.
Ich finde es auch gut, wenn die besprochene Version genau gekennzeichnet wird - die Info mag zwar nur von bedingtem Wert sein, weil man ja als Leser nicht weiß, wie diese Version dann aussah - es gibt nur einen Anhaltspunkt, wenn in der Besprechung Dargestelltes von dem abweicht, was man selber gesehen hat.
Man kennt es von der Arbeit mit restaurierten Stummfilmen, von denen ja auch meist ganz unterschiedliche Fassungen kursieren.

Nach wie vor stellt sich aber die Frage nach dem Original. Das mag mit Bezug auf Kino auch schon früher ein umstrittener Begriff gewesen sein, aber es gab doch eine einigermaßen verlässliche gemeinsame Grundlage: Der Film, wie er im Kino zu sehen war - und dann ja, im Gegensatz zu den frühen Jahren, einigermaßen gut aufbewahrt wurde. Fernsehversionen waren dann gerne mal gekürzt (Pro 7!) ab und an gab es einen Director's Cut.
Dagegen heute: Welche Variante von, sagen wir, "Die zwei Türme" ist denn die gültige? Auf DVD hat garantiert die Langfassung eine weit höhere Verbreitung. Die im Kino mögen mehr gesehen haben, aber dieses Verhältnis wird im Laufe der Zeit umkippen, zumal das Gedächtnis schwach ist. Eine Kennzeichnung hilft, Bewusstsein zu schaffen, dass es unterschiedliche Fassungen gibt, sie macht die Sache des Sprechens über EINEN Film aber nicht leichter.
Im Fall des "Herren der Ringe" ist ja schon die Originalkinofassung mit Hinblick auf die Vermarktung der längeren DVD-Fassung geschnitten worden. Ein ökonomisches Argument. Das daher sicher Schule machen wird.
Ich denke DAS und die Veränderung eines Filmes etwa für einen bestimmten Markt sind zwei ganz unterschiedliche Phänomene. Denn im einen Fall pfuscht ein Verleiher herum, im anderen Fall legt der Autor (siehe Cameron) selbst Hand an.

Schöne und interessante Beispiele übrigens, vielen Dank. Kann man denn bei UIP bestimmte Personen haftbar machen?

Möglicherweise wäre es auch ein wahrhaft museales (und unkommerzielles) Projekt, Kinofassungen für die Nachwelt zu erhalten, zumindestens in dem Moment, in dem eine distributorisch überlegene veränderte DVD-Edition auf den Markt kommt.

Frevelerisches Beispiel: War Jesus selbst die Kinovorstellung, sind die Evangelien die DVD-Fassungen des Stoffes. Und hätten wir nicht gerne Jesus im Original? Seine Hörer kannten es noch, für alle anderen bleiben die Spezial-Editionen von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. 
Blake Falls antwortete am 3. Nov, 17:21:
Stimmt, schon schade das sich der Bezugpunkt "Original" tatsächlich aufgelöst hat in den letzten Jahren. Auch für Kreative im Grunde ein Fluch, eine Arbeit immer wieder aufgreifen und verändern zu können. Wie soll da was neues entstehen?

Im Ergebnis stellt ein Directors-Cut doch immer so was wie einen nachgeschobenen Erklärungsversuch dar. Macht einen Film im Zweifel also eher ärmer.

Ich meine das ganze Medium DVD ist ja im Grunde darauf angelegt, Filmen ihre letzten Geheimnisse zu rauben. Selbst reine Kunst wie beispielsweise Matthew Barneys wundervolleren CREMASTER-Circle, kann man sich ja auf DVD Szene für Szene vom Künstler selbst erklären lassen.

All diese "Deleted Screnes", diese Videos vom Vorsprechen, diese stundenlangen Making-Offs sind doch alle nur noch aufs innerliche abhaken ausgelegt. Ok, kapiert, jetzt weiß ich wie`s gemeint war, muss mich also nie mehr damit auseinandersetzen. Echt die totale Verarmung das Ganze. 
bähr antwortete am 3. Nov, 23:50:
Das ist wahr. Eigentlich ist es schön, wenn etwas fertig ist, und dann wird's gedruckt, und das war's dann. Auf zum nächsten, nicht ewig noch nachbessern können.

Ein Director's Cut aber immer ein nachgeschobener Erklärungsversuch? Ich weiß nicht. Demnächst kommt der von "Donnie Darko" raus, und da durfte der Regisseur, ein Debütant, einfach nicht wie er wollte, dann kam der Erfolg, und jetzt darf. Er kann den Film zeigen, wie er eigentlich gemeint war, und hat eine gute Ausrede, warum es vorher kürzer, anders war. Da war, so könnte man sagen, der ERSTE Film nicht das Original, weil der Künstler nicht so konnte, wie er wollte.

Was aber ist mit Ridley Scotts "Blade Runner"? Hat sich da nicht damals ein Künstler entschieden, einen wichtigen Teil wegzulassen, der ihm plötzlich fehl am Platze erschien: Die bekannte Einhorn-Sequenz. Was für eine Ausrede hat er, sie später doch zu bringen? Und damit den ganzen Film umzuinterpretieren, und damit letztlich seinen ersten Film als unvollständig (und sich selbst als damals falschliegend) zu denunzieren?

Die ganzen erklärenden Extras auf den DVDs finde auch ich zweifelhaft - jedenfalls, wenn man als Filmliebhaber will, dass der Film sein Geheimnis behält. Das er natürlich vor allem hatte, als es weder Video noch DVD gab und man einen Film vielleicht im Leben nur einmal und nie wieder sehen konnte und alles was blieb, die eigene Erinnerung war. Schön und schlimm zugleich. Das langsame Schwinden, die Szenen, die hervorschimmern, die Freude, in einer fremden Stadt in einem fremden Kino den Film wieder sehen zu können, den man seit Jahren schon so sehr wieder sehen möchte und es doch nie konnte (eine Freude, die der Kauf einer DVD, schnöde bei Amazon bestellt, nie wird hervorrufen können.)

Für den Filmhistoriker ist der ganze Stoff natürlich ein Segen, die Möglichkeit, stets auf die Orirginalsprache zugreifen können natürlcih ein Segen für alle.

Nein, DVDs sind gut, so viel besser als VHS. Oder wie Svenson heute sagte: Erst auf DVD besitzt man einen Film so wirklich, wie man ihn auf VHS nie besessen hat. Klingt komisch, stimmt aber. 
bähr antwortete am 3. Nov, 23:51:
Das ist wahr. Eigentlich ist es schön, wenn etwas fertig ist, und dann wird's gedruckt, und das war's dann. Auf zum nächsten, nicht ewig noch nachbessern können.

Ein Director's Cut aber immer ein nachgeschobener Erklärungsversuch? Ich weiß nicht. Demnächst kommt der von "Donnie Darko" raus, und da durfte der Regisseur, ein Debütant, einfach nicht wie er wollte, dann kam der Erfolg, und jetzt darf. Er kann den Film zeigen, wie er eigentlich gemeint war, und hat eine gute Ausrede, warum es vorher kürzer, anders war. Da war, so könnte man sagen, der ERSTE Film nicht das Original, weil der Künstler nicht so konnte, wie er wollte.

Was aber ist mit Ridley Scotts "Blade Runner"? Hat sich da nicht damals ein Künstler entschieden, einen wichtigen Teil wegzulassen, der ihm plötzlich fehl am Platze erschien: Die bekannte Einhorn-Sequenz. Was für eine Ausrede hat er, sie später doch zu bringen? Und damit den ganzen Film umzuinterpretieren, und damit letztlich seinen ersten Film als unvollständig (und sich selbst als damals falschliegend) zu denunzieren?

Die ganzen erklärenden Extras auf den DVDs finde auch ich zweifelhaft - jedenfalls, wenn man als Filmliebhaber will, dass der Film sein Geheimnis behält. Das er natürlich vor allem hatte, als es weder Video noch DVD gab und man einen Film vielleicht im Leben nur einmal und nie wieder sehen konnte und alles was blieb, die eigene Erinnerung war. Schön und schlimm zugleich. Das langsame Schwinden, die Szenen, die hervorschimmern, die Freude, in einer fremden Stadt in einem fremden Kino den Film wieder sehen zu können, den man seit Jahren schon so sehr wieder sehen möchte und es doch nie konnte (eine Freude, die der Kauf einer DVD, schnöde bei Amazon bestellt, nie wird hervorrufen können.)

Für den Filmhistoriker ist der ganze Stoff natürlich ein Segen, die Möglichkeit, stets auf die Orirginalsprache zugreifen können natürlcih ein Segen für alle.

Nein, DVDs sind gut, so viel besser als VHS. Oder wie Svenson heute sagte: Erst auf DVD besitzt man einen Film so wirklich, wie man ihn auf VHS nie besessen hat. Klingt komisch, stimmt aber. 
 

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