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Svenson brachte Kassetten mit, mit dem Befehl, sie mir anzusehen. Dem darf ich mich nicht widersetzen, und ich sah an einem Abend die ersten zwei Staffeln „Black Adder“: Mittelalter und Elisabethanisches Zeitalter.

Was hat mich gefesselt, was leistet denn eine Serie um zu fesseln?
Wichtig natürlich: sinnlose Gewalt gegen Schwächere, sexuelle Perversion aller mit jedem (und Schafen), Gotteslästerungen. Dazu Anspielungen auf historisches und künstlerisches Bildungsgut für den aufrechten Gymnasiasten. Das ist schon gut, aber für sich genommen weder humorig noch suchterzeugend – schürfen wir also tiefer.

„Black Adder“ kämpft einen täglichen, ungewinnbaren Kampf – einen Kampf, den jeder von uns ebenso kämpft. Und das gefällt uns natürlich, wir fühlen uns verstanden. Er ist in der selben Lage wie wir alle: der einzige vernünftige Mensch auf einem Planeten von Vollidioten – gutwilligen Narren und gemeingefährlichen Spinnern.
Deshalb verstehen wir ihn so gut, deswegen bleiben wir so ausdauernd an seiner Seite. Denn:

Wie diese Spinner in die Positionen gekommen sind, in denen sie sind, ist unverständlich. Aber sie nehmen sie ein, und das ist Black Adders Fluch. „Black Adder“ ist eine Gesellschaftskomödie, und er selbst ist unerbittlich eingebunden in diese Gesellschaft von Freaks.
Sie dienen ihm und er dient ihnen. Er durchschaut sie und kann sie doch nicht fliehen.
Zu sehr sind seine eigenen Interessen gesellsellschaftliche. Die debile Königin, deren Grillen er ausgeliefert ist und sie aus höfischen Machtkalkül mitspielt, der devote Kanzler, der Höfling, der zu blöd ist, um zu merken, wie schwul er ist, der steindumme, treue Diener – er hasst sie, er verachtet sie, er durchschaut sie. Und er spielt mit. Er ist an sie gekettet, weil sie unverdiente Macht über ihn haben oder er über sie. Oder weil sie seine gesellschaftliche Position teilen.

Kennen wir das nicht? Direktoren, Professoren, Lehrer, Chefs, Kollegen, Angestellte, Studenten, Staatssekretäre, Redakteure, Kunden, Schüler...an sie gekettet schleppen wir uns durchs Leben, ohne je eine Antwort auf die Frage zu bekommen, womit wir nur diese Bande verdient haben. Manchmal mag jemand darunter sein, der auch einigermaßen normal tickt, aber insgesamt ist diese Brut eine debile Pest.
Black Adder tritt uns als einziger vernünftiger, klar denkender Mensch in diesem Panoptikum gegenüber, und um dem Wahnsinn, der ihn umtost, zu begegnen, steht ihm ein einziges Instrument gegenüber, das die Serie zu einer sehr englischen macht: die Ironie. Nur sie macht es Edmund Blackadder möglich, in dieser Welt der Deppen zu überleben, und aus diesem Gegensatz saugt die Serie ihren grandiosen Humor.

Denn: diese Kaltschnäuzigkeit brächten wir in unserer täglichen Plage eigentlich auch gerne auf, und auch wenn es um Queen Elizabeth die erste geht, denken wir: „Genau so isset! Genau so!“

Und hier wird auch erkennbar, das es geradezu eine Notwendigkeit ist, dass „Black Adder“ in unterschiedlichen historischen Epochen spielt: die Sicht Edmunds ist die resignierte, ironische Sicht eines Menschen des 20.ten Jahrhunderts, den es auf welchem Wege auch immer in die Vergangenheit verschlagen hat, und der weiß, dass er ihr nie wieder entrinnen wird.

Jemand, der in Verhältnisse geraten ist, die er nicht mag und in die er nicht eingewachsen ist, die er aber nicht verlassen kann.
Black Adders Sicht auf die Dinge und die Zeitgenossen ist die eines bewussten, außerhalb seiner Epoche stehenden Menschen. Und jede Zeit gebiert ihre eigenen Idioten, die an den Nerven des Unglücklichen nagen – einige Prototypen natürlich bleiben gleich. Wir werden sie heute Abend alle kennenlernen.

„Black Adder“ also zeigt die Welt, in der wir leben, in ihrer ganzen Hässlichkeit, und diese Einsicht geht noch tiefer: denn die Welt ist und war nicht nur bevölkert von Grenzdebilen, sondern überdies ist sie zutiefst unmoralisch – keine Werte und Normen sind echt, denn die, die sie vertreten, kennen sie meist garnicht: hurende, erpresserische Priester, korrupte, verräterische Beamte, brutale, räuberische Machthaber, und und und...

Die freundlichen Ungenauigkeiten in der sexuellen Orientierung fast aller Beteiligten, die die Serie durchziehen, sind da noch die netteste Seite des Durcheinanders aller Werte.


Kein Wunder, dass gerade die naivste Figur im Ensemble die ist, die die Hoffnung nicht aufgibt, dieses Tohuwabohu doch noch irgendwie ordnen zu können: der Diener Baldrick entwickelt mit schöner Regelmäßigkeit einen „cunning plan“, mit dem er hofft, die Situationen, in die er und sein Chef geraten, doch noch irgendwie durch eigene Initiative retten zu können. Edmund, der eigentlich die Hoffnung, dass ein Plan in dieser irrsinnigen Welt funktionieren könnte, längst aufgegeben hat, hat sie ihn doch nicht ganz verlassen: Er hört sich diese Pläne immer wieder an – und wird jedesmal enttäuscht, denn die Pläne Baldricks stehen der ihn umgebenden Welt in ihrer Absurdität nichts nach. Vielleicht würde das bedeuten, dass sie funktionieren, doch diese Volte lehnt Edmund, der Vernunftsmensch ab, denn das würde ihn in den Wahnsinn hinabziehen. So bleibt ihm nur die passive Haltung des ironischen Leidenden.

Darum ist er ein radikaler Hedonist: er hofft auf nichts, außer darauf, die Zeit, die er in dem ihn umgebenden Irrenhaus verbringen muss, möglichst angenehm zu gestalten. Er unterstützt die Normen, die um ihn herum in Trümmern liegen, zwar auch nicht, aber er bemerkt immerhin und als einziger, wie es um sie steht.

Und das macht ihn zum modernen Menschen im archaischen Ensemble.
Wenn am Ende der Serie Baldrick seinem Chef ein letztes mal einen Plan vorschlägt, der sie aus der tödlichen Situation befreien könnte, will Edmund ihn zum ersten mal nicht hören. Er hat auch die letzte Hoffnung auf die Möglichkeit, dem irrationalen Wahnsinn zu entgehen, aufgegeben. Und diese Erkenntnis ist der Tod.
(Dokumentation einer Einführung zur Serie anlässlich "Meine Serie und ich" im Koki Kiel, 2002)
 

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