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Gestern endlich "Streets of Fire" gesehen. Außer dass da eine Gruppe unterwegs war, um irgendwas zu machen, und Amy Madigan eine hässliche Frisur hat und (auf Deutsch) ungeheuer prollig daherredet, nichts erinnert. Aber das ist gut so, denn ich bin sicher, dass es mir damals, beim ersten Sehen, nicht gefallen haben kann. Am Ende hätte ich ihm keine zweite Chance gegeben.
Zu treibender 80er-Rockmusik (da kenn' ich mich nicht so aus, darum keine bessere Beschreibung) liest man nacheinander: "Streets of Fire", "A Rock&Roll Fable", "Another Time, Another Place". Daran kann man und soll man das Folgende messen. Und das erste Versprechen wird sofort eingelöst. Das schwarze Bild wird gleichsam weggehobelt (diese Technik bleibt ständiges und häufiges Stilelement) und auf nassem Asphalt züngeln Farben wie Flammen, ein abstraktes Bild, das erst durch einen Kameraschwenk aufgelöst wird. Es handelt sich um die Leuchtreklame einer Konzerthalle, in die gerade die Besucher für ein Ellen-Aim-Konzert strömen. Die Atmosphäre ist aufgeregt bis aufgeladen, dieses Konzert ist das ganz große Ding, denn Ellen Aim kommt aus der Gegend und hat es zum Star gebracht (erfährt man aber alles erst später). Im Verlauf dieses Konzerts wird Ellen (Diane Lane) von einer Bande Fifties-Rocker mit starkem Fetisch-Einschlag unter der Führung von Raven (Willem Dafoe) scheinbar ohne weiteren Grund entführt. ("I just get excited around beautiful girls", was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist, denn einmal mit der zumal gefesselten Ellen allein, strahlt Raven alles andere als sexuelle Gier aus, das sollen wohl eher die Kumpels denken.) Eine junge Frau, Reva (Deborah van Valkenburgh), weiß, was zu tun ist, und ruft ihren Bruder Tom Cody an, einen Ex-Soldaten, der mal mit Ellen liiert war. Der kommt auch sofort, schlägt ein paar Arschlöcher, die in Revas Bar Stunk machen zusammen, ruiniert dabei das Schaufenster und sorgt so für den ersten Knaller-Dialog. Er zeigt auf das Auto der Arschlöcher und fragt: "What about your new car?" Reva: "You can sell it and buy me a new window." Eigentumsdelikte werden auch in der Folgezeit keine Strafverfolgung nach sich ziehen, denn in Another Time & Place ist die Polizei entweder hoffnungslos unterlegen oder korrupt und desinteressiert. Cody lernt als nächstes den Manager und augenblicklichen Geliebten von Ellen kennen, Billy Fish (Rick Moranis), einen ständig herumschnauzenden schmächtigen Nerd im Karo-Anzug, und nimmt für 10,000 $ den Auftrag an Ellen zu suchen. Das Verhältnis zwischen Tom und Billy respektvoll zu nennen, wäre falsch. Auf einer Wellenlänge ist Tom eher mit McCoy (Amy Madigan), einer Ex-Soldatin, die gerade im Zuge einer unter normalen Umständen harmlosen Streiterei einen Barkeeper (Bill Paxton) niedergeschlagen hat und, bevor sie sich selbständig aus der Bar bedient, Tom noch fragt, was er trinken wolle. "I've always been a Tequila man." Gesagt, getan, Alkohol und Schläge, man versteht sich und es ist schnell abgemacht, dass McCoy bei der Suche nach Ellen behilflich ist. Die ist, wie jeder weiß, im "Battery", dem Veranstaltungszentrum, das Raven und seiner Gang als regelmäßiger Aufenthaltsort dient. Befreiung gelingt, Reunion der Liebenden Tom und Ellen, Ravens Rache folgt, Polizei will nicht oder kann nicht eingreifen ("Well, my plan went to shit"), delegiert die Initiative an Tom ("Let's see how you do. Kick his ass!"), Showdown, Sieg der Guten, Niederlage der Liebe, Unhappy Ending vor dem Hintergrund eines weiteren Ellen-Aim-Konzerts, die mit dem Song, den sie singt, während Tom sie verlässt, schon dessen Abgang betrauert.
Wäre das alles, "Streets of Fire" wäre nicht mehr und nicht weniger als ein stinknormaler Exploitation-Reißer. Schnell, kaltschnäuzig, einfache Motivationen, kondensierte Dialoge, harte Action. Kohärenz der Story ist auch nicht der Kitt der diesen Film zusammenhält, es ist vielmehr Stil. Wenn Jesse in "Before Sunset" sagt, er wolle ein Buch schreiben, dessen Handlung nur die Dauer eines Rocksongs habe, meint er sicher nicht etwas wie "Streets of Fire" (ist ja auch kein Buch), aber die Beschreibung liegt nahe dran. Um diesen Gedanken ein wenig zu verfolgen: Man hört wie schon beschrieben am Anfang Rockmusik, dann reißt das Bild auf, man bekommt ein Konzert zu sehen und am Ende steht wieder ein Konzert. Und innerhalb der Konzerte bilden auch der Auftritt des bösen Raven und der Abgang des guten Tom eine Klammer, sie sind nahezu identisch gestaltet. Jeweils kommentieren die von Ellen gesungenen Songs die Handlung. Im ersten heißt es We're going fast nowhere, im letzten geht es darum, wie schnell alles vorbei ist, die Jugend, die Liebe. Sieht man das als Bild, dann heißt das doch wohl nix anderes, als dass der Kern eines Rocksongs die Geschwindigkeit, die Liebe, besser: Boy meets girl, und die Vergänglichkeit stecken.
Und so inszeniert Walter Hill seinen grandiosen Film denn auch. Es ist ihm tatsächlich ernst mit seiner Rock&Roll Fable. Er sucht immer nach extremen Oppositionen, die er in prächtige Farbbilder bannen kann. Streets of Fire ist z.B. als zentrale Metapher häufig visuell präsent. Die Straßen sind immer nass, aber auch so heiß, dass es ständig dampft. Und wenn das brennende Benzin aus den zerschossenen Motorradtanks die Straße benetzt, dann hilft auch kein strömender Regen, um dieses Feuer zu löschen. Hier kämpfen Elemente. Und zwar ständig. Und wo das Leben ein einziger Kampf ist, kann die Liebe nur Traum oder Atempause sein. Mann und Frau können nur miteinander auskommen , wenn sie beide Krieger sind (Tom und McCoy), dann verliert die Frau aber ihre weiblichen Attribute, oder wenn der Mann seine männlichen Attribute verliert (Billy &Ellen). Das hat dann aber mit Leidenschaft nichts zu tun. Leidenschaft ist nur für den Einzelgänger möglich, Bindung aber nicht. Das klingt schlicht, aber der Film ist eine Phantasie, eine Fabel, er erzählt beispiel- und nicht vorbildhaft, er enthält keine Utopie. Er stilisiert Klischees an den Rand der Lächerlichkeit und erreicht eine berauschte Erhabenheit neben der sogar noch knochentrockener Witz einen erstaunlich selbstverständlichen Platz hat.
In der Mitte des Films dann eine Art Bekenntnis: Die erste Rückkehr der erschöpften Helden wird ultrarhythmisch, mit Schwarzbildern dazwischen, gegen Bilder der singenden Ellen ("I'm tired") geschnitten. Hier ist der Videoclip nicht mehr zu leugnen. Und wird auch nicht. Die Kamera fährt zurück und man sieht, dass die Zwischenschnitte aus einem Videoclip von Ellen stammen, der gerade im Fernsehen läuft. Ästhetisch, das macht dann der folgende Schwenk klar, bleiben wir in einer Kunstwelt.
Im Showdown lässt Hill dann Schwarz gegen Weiß antreten, Teufel gegen Engel, Raven gegen Tom (einmal singt Ellen von einem Engel, den sie nicht bekommen kann, und man sieht dazu Toms Gesicht, das nächstbeste ist aber ein "boy", das ist dann wohl Billy Fish, der auch tatsächlich ziemlich boyish ist in seinem untauglichen Bemühen, den großen Macker zu geben.) Sie kämpfen mit Hämmern (!) und immer wieder bilden sie im Kampf mit den Griffen ein Kreuz. Raven unterliegt, verliert seinen Hammer - folgerichtig, denn schon vorher wurde seine Impotenz angedeutet. Allerdings - so fällt mir gerade auf - ist gar nicht so klar, um wen der androgyne Raven da eigentlich kämpft: um Ellen oder um Tom. Derweil ruht der ohnmächtige Billy Fish in den Armen eines Polizisten - eine kuriose Pieta.
In den Anspielungen vielleicht nicht immer kohärent, in seiner Verrücktheit, alle Bilder aus Pulp-Ikonographien zu gewinnen, um ins Herz des Rock&Roll vorzustoßen, sie nicht auseinander, sondern nebeneinander zu entwickeln, ist "Streets of Fire" ein großer Film. Hab ich gerne wiedergesehen. Aber warum indiziert????
 

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