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Es ist schon schöner, wenn DVDs mit der Post kommen, als wenn man sie aus dem Laden mit nach Hause nimmt. Die erregte Vorfreude auf dem Weg zum Briefkasten - möglicherweise hält man gleich das gute Stück in Händen - können einem WOM et al. einfach nicht bieten. Da macht es auch nichts, wenn der Postmann wieder das schmale Zeitfenster abgepasst hat, um - statt das Päckchen bei einem Nachbarn zu hinterlassen - einen Benachrichtigungszettel einzuwerfen, der sich dann zumal zwischen Werbeprospekten versteckt. Aber den Widrigkeiten trotzend hat sich die erste Staffel von "The West Wing" zu mir durchgekämpft. Und ich habe es ihr mit zärtlicher Aufmerksamkeit gelohnt. Ich hatte ja keine Ahnung. Folgende Voraussetzungen: Ich hatte mich nicht informiert, der an verschiedenen Stellen immer wieder aufgeschnappte Hinweis, eine Serie sei gut, reicht mir im Allgemeinen. Näheres erfährt man dann ja beim Sehen. Folglich dachte ich, es handele sich um eine Comedy-Serie. Pro Folge vielleich 22 Minuten und 30 Sekunden. Tempo, Tempo, Tempo. Gepfefferte Dialoge voller Witz und Schlagfertigkeit. Sexuelle Anspielungen, ohne zu explizit zu sein - wird schließlich nicht von HBO produziert und ausgestrahlt. Eigentlich dachte ich wohl, es handele sich um "Spin City", bloß im Weißen Haus, wahrscheinlich hat mir außerdem der Name Sheen (Charlie: Spin City, Martin: The West Wing) diese Vorstellung ins Unterbewusstsein diktiert. Dann der Autor: Aaron Sorkin hat "A Few Good Men" geschrieben und "The American President". Beides Filme, die möglicherweise schwächer sind als ihr Buch, sind sie doch vollkommen unpersönlich inszeniert und markieren die Etablierung von Rob Reiner als - nicht uneleganter - Mainstream-Konfektionär. Auf jeden Fall Filme, die wie PR-Maßnahmen wirken. Sie erlauben keinen unbeobachteten, unvorbereiteten Blick unter die Oberfläche. Sie sind wie kompetent geleitete Führungen. Auch die Abweichung folgt einem kalkulierten Zweck. Vielleicht verstehe ich daran aber auch nur die besondere Ironie nicht. Sei's drum. "The West Wing" ist von anderem Kaliber. Die erste Folge geht sofort in medias res. Jede einzelne Hauptfigur wird uns vorgestellt, besser: gezeigt, und zwar genau dort, wo wir sie in der Serie häufig sehen werden: an der Schnittstelle von Beruf und Privatleben. (Falls das noch nicht klar war: es dreht sich um den demokratischen Präsidenten der Vereinigten Staaten und seinen Inner Circle: Stabchef, Pressechefin, Redenschreiber usw.) Und fast allen wird erstmal die Hose runtergelassen. Jeder muss in einem raren Moment auch qualitativ eingeschränkter Privatheit professionell reagieren. Jedem gelingt es auf seine Weise, aber wir haben sofort - noch bevor er überhaupt entfaltet wird - den Kern des Problems dieses Lebens erfahren, ganz ohne Sentimentalität, einfach so. Das könnte man - und muss es sonst meistens - ablegen unter: Schwäche zeigen, um Menschlichkeit zu erzeugen. Aber hier funktioniert es anders. Die Schwäche ist der Ausgangspunkt, sie ist nicht der Schönheitsfleck, der wohlkalkulierte Makel, die vorweggenommene Parade des Vorwurfs, unrealistische Supermenschen zu zeigen. Im Gegenteil: Die Schwäche macht die Figuren erst komplett. Natürlich reden wir hier von Schwäche auf ganz hohem Niveau und natürlich reden wir hier auf gar keinen Fall von Realismus. "The West Wing" erlaubt es sich einfach, nicht allzu offensichtlich mit den Eigenschaften seiner Figuren zu argumentieren. Die Serie fordert sogar eine gewisse Kenntnis politischer Vorgänge vom Zuschauer. Und setzt Politik nicht allein als Metapher für private Dispositionen ein, sondern behandelt sie auch als Gegenstand. Sie erliegt auch nicht der Versuchung, Politik als hassenswerten Sumpf darzustellen, auf den man alle seine Ängste und Vorurteile projizieren kann. Die Autoren geben sich tatsächlich alle Mühe, der Komplexität ihres Gegenstandes gerecht zu werden. Dass dabei gewisse Vereinfachungen anfallen, z.B. dass die meisten Mikroerzählungen auf irgendeiner Ebene ein Happy End haben: geschenkt. Vielleicht kann man auch monieren, dass die Protagonisten alle zu gut sind, zu geistreich, zu eloquent. Dass ein derart liberaler Präsident nie gewählt worden wäre. Scheiss drauf. Wie gesagt, hier geht es nicht um Realismus.
Aber finde ich die Serie wegen der beschriebenen Vorzüge gut? Natürlich nicht. Sondern weil sie exzellente Schauspieler hat (seit wann ist denn bitte schön Rob Lowe gut?), exquisite Dialoge, halsbrecherisches Tempo und weil sie verdammt noch mal auf der richtigen Seite steht und daraus auch keinen Hehl macht. Man stelle sich mal Schröder vor, der Frank-Walter Steinmeier vom wohlverdienten Schlaf abhält, indem er ihm Vorträge über die wichtigsten deutschen Naturschutzgebiete hält. Jetzt so hingeschrieben liest sich das eigentlich ganz lustig.
Anke5 meinte am 26. Jul, 18:35:
Das haben Sie sehr schön gesagt. Mir persönlich gefällt die Illusion, dass eben alle im Stab des Präsidenten zu gut, zu geistreich, zu eloquent sind. Einmal solche Dialoge schreiben. 
Svenson antwortete am 27. Jul, 16:09:
Gefällt mir auch, vor allem angesichts der bestürzenden Realität. Andererseits: vielleicht ist der Stab des Präsidenten ja zgzgze und es wirkt sich nur nicht aus oder man kriegt's nicht mit. Nicht sehr wahrscheinlich. 
bähr meinte am 29. Jul, 01:04:
Ja, doch, fünf Folgen und vier Stunden später (wie schnell doch ein Mittwoch Abend verfliegen kann) bleibt mir nur zu sagen: Das ist ja ganz wunderbar. Und wieder, wie so oft, wenn ich vor einer einer (mir) neuen US-Serie den Hut ziehe, frage ich mich, wieso um alles in der Welt sowas bei uns nicht möglich ist. Und das ist es nicht. Gemein. 
 

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