Ein andalusischer Film
Wieder ein Film, von dem ich mich frage, was ihn eigentlich in ein CINEMAXX verschlägt. Redford natürlich, das wirkt immer noch. Sonst aber wirklich garnichts. So ganz unspektakulär ist er, so garnicht aufregend, kaum wirklich spannend. Der deutsche Titel leitet fehl: "Anatomie einer Entführung" will an "Anatomie eines Mordes" von Preminger erinnern, der seinen Titel zu recht trägt. Doch geht es hier kaum um die Entführung, um ihren Ablauf, ihr Funktionieren - mehr um die Menschen in ihr, und vor allem um die Stimmung der Vergeblichkeit, die ihr Leben umweht. Das des Erfolgreichen, das des Gescheiterten. Die äußere Handlung rollt mechanisch, absehbar und überraschungsarm ab. Ein Film, der aus der Zeit gefallen wirkt. Werden heute eigentlich garnicht mehr gebaut, solche Filme, die mit kaum etwas auf der Oberfläche aufwarten. Mit keinem Psychodrama, keiner "außergewöhnlichen Begebenheit", keiner gedrechselten Handlung mit überraschender Pointe. Er hat darin was siebzigermäßiges, schwer zu beschreiben. Wirklich kein Feelgood-Kino. Er hat in seiner Art etwas unpassendes in einem Kino, in dem die Reihe der sonst gezeigten Filme beim Publikum andere Erwartungen auslöst, etwas beinahe peinliches, was sich in dem verständnislosen Übersprungs-Gelächter am Ende der Vorstellung entlädt. Aber es mag sich dem anderes gewöhnten Publikum am Ende die Frage stellen: "Warum hat der Mann diesen Film eigentlich gemacht?" (so wie mir gerade). Dann kommt man bei Lebensentwürfen, bei den Grenzen der eigenen Gestaltungsspielräume, und bei Haltung an, die man dem Leben entgegensetzt. Ach, ich weiß nicht, ob das viele tun. Gute Darsteller, vor allem Willem Dafoe, der nicht diabolisch grinst und für seinen Schanuz die "Goldene Kidman-Nase" 2005 erhält.
bähr - am Dienstag, 4. Januar 2005, 01:39 - Rubrik: Ein andalusischer Film
"Widmen Sie den Toten all ihre Gedanken, alles, was Sie tun, Ihre ganze Liebe, und Sie werden sehen, dass sie uns gehören, wenn wir bereit sind, ihnen zu gehören." (Julien in "Das grüne Zimmer")
Heute, ganz zufällig, "Das grüne Zimmer" von Truffaut im Fernsehen gesehen, auf Arte. Natürlich nicht ohne Anlass: Vor zwanzig Jahren starb Truffaut. Und mich erinnert: Ach ja, das gibt es ja auch noch. Dieses große, fremde Kino der Jahre, in denen wir Kind waren, das schon neben uns existierte, das wir (ich zumindest) erst kennenlernten, als es schon lange vergangen war. Mein erster bewusster Truffaut? Ich glaube, "Der Mann, der die Frauen liebte", irgendwann mit 16 oder 17 im Fernsehen, mein liebster immer noch "Die amerikanische Nacht". Oder doch "Geraubte Küsse"? Egal.
Und nun, also ganz unvermittelt, "Das grüne Zimmer". Und eben dieses Gefühl der Fremdheit, oder genauer: Sowas wird heute nicht mehr gebaut. Ein schmaler Film, so gar nicht auf irgendeinen Effekt gezielt, so ganz unwillig, aufzufallen. Auffallen - nicht im Sinne von "in der Menge verschwinden", sondern: Nicht protzen, nicht brillieren. Ein einfacher Kostümfilm mit einem verqueren Thema: Wie gehe ich mit der verschwundenen Vergangenheit um? Mit den Menschen, die mich verlassen haben, obwohl ich sie liebte, die gingen, die starben, obwohl ich sie nie hätte gehen lassen? Truffaut spielt die Hauptrolle, Julien, kantig, sparsam, intensiv, schwarzäugig. Es sind die Zwanziger, er hat im Krieg viele, zu viele Freunde verloren, und nun, nachdem er sich in den Frieden gerettet hat, auch noch seine geliebte Frau. Das wirft ihn um, er lebt nun nur noch, um herauszufinden, wie er mit dem Verlust der Toten umgehen kann, beginnt, sich Rituale zu erspinnen,die nicht greifen, bis er am Ende eine alte Kapelle mietet, um sie zu einem Tempel für "seine" Toten zu machen, gefüllt mit Bildern von Toten, die für ihn auch immer Geschichten bedeuten. Zentral, über dem Altar (das Kreuz hat er entfernt) Bilder seiner Frau. Um mehr geht es eigentlich nicht, nur der Tod, der sich aus dem Leben nicht vertreiben lässt, und der Versuch ihn, wenn er zu stark wird, zu zivilisieren.
Truffaut ist in "Das grüne Zimmer" Journalist, er verfasst, fixiert wie er ist, ausschließlich Nachrufe. Dann hört er damit auf, beschäftigt sich nur noch mit seiner Obsession. Was liegt näher, als hier eine Analogie auf den Weg des Filmjournalisten Truffaut hin zum Filmemacher Truffaut zu suchen? Einem Mann, der seiner Obsession einen Tempel, voll mit Bildern, voll mit Geschichten, gebaut hat? EInem Mann, der versucht, mit seiner Obsession umzugehen, Wege sucht, sie in seinem Leben zu beherbergen? Julien stirbt am Ende an der Ausschließlichkeit seine Leidenschaft für die Bilder aus dem Jenseits. Hm.
Und jetzt eben fange ich an, nachzudenken, warum ich hier schreibe.
Es ist einfach, sich von Dingen zu trennen, sich loszusagen, die man in seinem Leben für schädlich erkannt hat. Auch davon handelt der Film. Schwer ist es, die Dinge fahren zu lassen, die man liebt. Und doch: Das passiert.
Denn die Leidenschaft welkt, wenn man sie nicht lebt, dieses ganze zusammengeglotzte und gelesene Wissen schwindet, die Lust, sich auszutauschen. Über die ganzen Dinge, die ja ständig nachgeschüttet werden, begeistern, befremden, wegsortiert werden, verblassen, welken, wenn man sie nicht poliert.Was tun? Man muss einen Tempel bauen, ein Ritual erspinnen, in dem sich dies alles Ausdruck verschaffen kann, über den Konsum, über das Sammeln hinaus. Dem Entglittenen, dem sich ständig ins Vergessen entziehenden alle Gedanken widmen. Das fordert Julien, und soweit wolln wa ja nu nich gehen. Aber: Man soll ihm die Gedanken widmen, die es verdient, und wir werden so viel von ihm behalten, wie wir verdienen. In einem Ritus, der das Schreiben ist, in dem die Gedanken sich bilden, gedeihen. Kerzen entzünden, die, wenn man sie betrachtet, voller Leben sind, jede eine Geschichte, die einen zu vergessen hindert. In einem Tempel, der aus so etwas profanem wie einer Internetadresse und etwas Hypertext besteht. Und der so mit hunderten und aberhunderten von Bildern, Gedanken, Meinungen ausgeschmückt ist. Deswegen schreibe ich hier, meinem eigenen unzuverlässigen Hirn die Stirn bietend.
Kluger Truffaut.
bähr - am Freitag, 22. Oktober 2004, 01:11 - Rubrik: Ein andalusischer Film
Und wieder einmal zahlt sich das Leben im Norden aus: Freund Tobias, der in Kopenhagen Film studierte, erzählt nach dem Kinobesuch, er hätte den Film "Der perfekte Mensch" von Jørgen Leth so 1975 gemeinsam mit Lars von Trier im Rahmen eines Filmgeschichtsseminars gesehen. Und nein, das ist keine Pose in dem Sinne wie der Mann auftritt, der ist so: Schnöselig distanziert, verschmitzt-schwitzig, dabei irgendwie freundlich und amüsant. Und absolut hermetisch. Der hatte so ein Elternhaus, wo jedem Wort, jeder Geste eine Bedeutung, eine Anklage, eine enttäuschende Respektlosigkeit unterstellt wurde. Und so redet er tatsächlich noch heute. Jedes Wort, dass er in diesem Film sagt, scheint er schon vorher im Hirn dreimal umgedreht, bedacht, komplexbeladen, mit Ironie und der vorwegnehmenden Spiegelung der Ironie durchwirkt zu haben. Trier, im schlumpfigen Sweatshirt mit Halstuch, gegenüber: Jørgen Leth, Grandseigneur des modernen dänischen Films, freundlich, offen, blendend aussehend (man stelle sich Nick Nolte vor, das passt). Der Film "Der perfekte Mensch" sagt von Trier einmal, sei der Film, der ihm am nächsten sei. Das überrascht - doch vorab: worum geht es? Trier lädt den bewunderten Leth zu einem Experiment ein: Der soll eben diesen Film "Der perfekte Mensch", gedreht 1967, noch einmal drehen - nein, nicht einmal, fünfmal. Und zwar unter Bedingungen, die Trier diktiert. Ein Spiel. Daher der Titel: Die fünf Hindernisse. Es sind eher Gruppen von Hindernissen. Der Ursprungsfilm ist ein sehr moderner, kalter, beobachtender Film, in der ein Mann (und manchmal eine Frau) in Abendgaderobe bei alltäglichen Tätigkeiten gezeigt werden, in einer absolut leeren, weißen Umgebung - manchmal leicht verfremdet: Der Mann, Claus Nissen, tanzt, ohne Musik. Er isst. Er rasiert sich. Dazu mal Off-Kommentar: "Das ist der perfekte Mensch. Was tut er. Er tanzt. Sehen wir ihm zu, wie er tanzt. Woran denkt er." Trier gibt vor, Leth mit seinen Aufgaben aus der Beobachterposition drängen zu wollen, ihn dazu zu bringen, sein Thema an sich heranzulassen. Die 1. Aufgabe: Drehe den Film neu, in Kuba, mit nur 12 Bildern pro Einstellung, ohne Set. 2. Aufgabe: An einem grauenvollen, erbärmlichen Ort (Leth wählt eine Rotlicht-Straße in Bombay). Etc.
Und, tatsächlich wenig überraschend, wenden sich die normalen Beschränkungen, die Hindernisse ins Positive, Leth dreht interessante neue Varianten. Ein Exkurs über Freiheit und Zwang und ihre Beziehung zur Kunst - überraschende Lösungen entspringen formalen Beschränkungen. Die Idee, Filmen mit einem Regelwerk zu Leibe zu rücken, um sie zu befruchten ist bei Trier nicht neu: nichts anderes tat er in "Idioten", nichts anderes als "Obstructions" sind die Regeln der "Dogma"-Filmer, nichts anderes die Idee: "Drehe einen Film ohne Kulissen" in "Dogville". Glaubt man der kleinen Familienschilderung vom Anfang, so ist der innere Trier von neurotischen Bedeutungs- und Regelsystemen geprägt, die er für die künstlerische Arbeit produktiv gemacht hat. Wenn Kunst des äußeren Zwanges, der Einschränkung bedarf (man denke nur an das Lamento der DDR-Künstler nach der Wende, als sie plötzlich alles direkt sagen konnten, ihre Chiffren also nicht mehr funktionierten, man denke an die produktive künstlerische Energie versteckter Homosexualität), um zu entstehen, und die absolute Freiheit lähmt, so kommt eine verkorkste Innenwelt dem Künstler im gepflegten, fast zwanglosen Westeuropa gerade recht. Man darf also sicher "The Five Obstructions" als Schlüssel zu zumindest einem Schloss des Trier'schen Werkes verstehen.
Ein wunderbarer Film, der, nebenbei, in Dänemark vor allem mit dem Namen des Jørgen Leth vermarktet wird, anderswo natürlich mit dem Namen Trier. Ein Film, der bestätigt, das häufig die kleinen, die Nebenwerke der großen Autorenfilmer (zu den Lars von Trier ihne Zweifel gehört), die schönsten sind (A Straight Story!!). Keine goldene Palme soll hier gewonnen werden, kein großes Wort für's eigene Werk gesprochen, die eigentliche Kunst der Filmemacher wird nicht von Ambition zerquetscht. Diesen Film in seiner formalen Buntheit und Verspieltheit, in seiner gedanklichen Tiefe und humorigen Entspanntheit schaue ich mir sofort nochmal an - "Dogville" nicht, das ist zuviel Arbeit.
Und ein Wort noch vom anderen Ende der Fahnenstange: So nette, so intelligente, so herausfordernde Hindernisse auf dem Weg zum Produkt wünscht sich der kreative Bergarbeiter auch mal. Also echt.
Und, tatsächlich wenig überraschend, wenden sich die normalen Beschränkungen, die Hindernisse ins Positive, Leth dreht interessante neue Varianten. Ein Exkurs über Freiheit und Zwang und ihre Beziehung zur Kunst - überraschende Lösungen entspringen formalen Beschränkungen. Die Idee, Filmen mit einem Regelwerk zu Leibe zu rücken, um sie zu befruchten ist bei Trier nicht neu: nichts anderes tat er in "Idioten", nichts anderes als "Obstructions" sind die Regeln der "Dogma"-Filmer, nichts anderes die Idee: "Drehe einen Film ohne Kulissen" in "Dogville". Glaubt man der kleinen Familienschilderung vom Anfang, so ist der innere Trier von neurotischen Bedeutungs- und Regelsystemen geprägt, die er für die künstlerische Arbeit produktiv gemacht hat. Wenn Kunst des äußeren Zwanges, der Einschränkung bedarf (man denke nur an das Lamento der DDR-Künstler nach der Wende, als sie plötzlich alles direkt sagen konnten, ihre Chiffren also nicht mehr funktionierten, man denke an die produktive künstlerische Energie versteckter Homosexualität), um zu entstehen, und die absolute Freiheit lähmt, so kommt eine verkorkste Innenwelt dem Künstler im gepflegten, fast zwanglosen Westeuropa gerade recht. Man darf also sicher "The Five Obstructions" als Schlüssel zu zumindest einem Schloss des Trier'schen Werkes verstehen.
Ein wunderbarer Film, der, nebenbei, in Dänemark vor allem mit dem Namen des Jørgen Leth vermarktet wird, anderswo natürlich mit dem Namen Trier. Ein Film, der bestätigt, das häufig die kleinen, die Nebenwerke der großen Autorenfilmer (zu den Lars von Trier ihne Zweifel gehört), die schönsten sind (A Straight Story!!). Keine goldene Palme soll hier gewonnen werden, kein großes Wort für's eigene Werk gesprochen, die eigentliche Kunst der Filmemacher wird nicht von Ambition zerquetscht. Diesen Film in seiner formalen Buntheit und Verspieltheit, in seiner gedanklichen Tiefe und humorigen Entspanntheit schaue ich mir sofort nochmal an - "Dogville" nicht, das ist zuviel Arbeit.
Und ein Wort noch vom anderen Ende der Fahnenstange: So nette, so intelligente, so herausfordernde Hindernisse auf dem Weg zum Produkt wünscht sich der kreative Bergarbeiter auch mal. Also echt.
bähr - am Donnerstag, 30. September 2004, 00:51 - Rubrik: Ein andalusischer Film
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Am selben Tag "Vater und Sohn" von Sokurov und vier weitere Folgen von "24" (jetzt fehlen noch vier). Wenig überraschend: unterschiedlicher geht's kaum. Sokurov, wie immer, faszinierendes, elegisches, langsames, ästhetisiertes Kunstkino, 24 - packende und im Tempo verdichtete Variation bekannter Themen. Und doch haben sie eine verblüffende Gemeinsamkeit: Bei beiden geht es zentral um einen Soldaten, der auf einen geheimen Kommandoauftrag geschickt wurde, der scheiterte. Der eine - Jack Bauer, wird zeitweilig verdächtigt, deshalb den zukünftigen Präsidenten umbringen zu wollen, der damals den Befehl gab. Von dem anderen - dem namenlosen, verschollenen Freund des Vaters - erzählt man sich genau dasselbe. In zwei Sätzen nur scheint dieses Thema in Sokurovs sonst so verkunstetem, aller Konkretisierung absichtsvoll enthobenem Ballett auf. Ein Einbruch der Realität in die Kunstwelt, die er sorgsam aus St. Petersburg und Lissabon zusammengehäkelt hat. Der ahnen lässt, was eigentlich der Abgrund ist, über dem die Männer den ganzen Film lang so selbstverständlich-erschreckend hinwegtanzen.
In beiden Filmen ist dieses Thema natürlich hochspekulativ, entbehrt aber trotzdem nicht einer gewissen Erdung. Denn es zeigt, dass sowohl die USA von heute als auch das heutige Russland mehr denn je tief vom Millitarismus geprägte Gesellschaften sind, in denen diese Stories, die uns im braven Deutschland ähnlich kolportiert wie Science-Fiction-Szenarien erscheinen, tatsächlich möglich sind. Staaten, die sich im Krieg befinden, und das mit Unterbrechungen seit Jahren. Eine andere Parallele untermauert das: Der Sohn, Alexej, ist auf der Millitärakademie - "warum?" wird er gefragt. "Familientradition" ist seine Antwort. Eine Antwort, die an die Mutter aus Fahrenheit 9/11 erinnert, die von ebendieser Tradition in ihrer Familie erzählt, und dass die Fortführung der Tradition die einzige Chance der Kinder auf einen Weg aus dem Elend ist.
In den USA und in Russland kann es den Kids, die im Kino sind, tatsächlich passieren, dass sie eines Tages auf Einsätze geschickt werden, von denen sie vielleicht nicht zurückkehren oder deren psychologische Folgen sie so verändern, wie sie es mit Jack Bauer oder dem Freund des Vaters gemacht haben - beide kehrten so verändert zurück, dass sie ihre Frauen verließen. Sie werden wohl nicht den Präsidenten umbringen - aber vielleicht drüber nachdenken.
Sie werden sich nicht die Filme Sokurovs ansehen - es gibt genug russische Kriegsstreifen, die den Krieg in Afganistan aufarbeiten oder ausbeuten.
Wir kriegen - leider - wenig aus Russland, aber viel aus Amerika. Wir importieren via Kino und TV einen Großteil unserer Werte aus einem Land im Kriegszustand, dessen Menschen mit ganz anderen Realitäten umgehen müssen als wir.
Das sollte man immer wieder bedenken, wenn man sich mit den Streifen beschäftigt: Hier wird Realität verarbeitet, das ist kein Fantasy-Genre. Realität nicht weniger Menschen (wie im Agentenfilm), sondern ganzer Bevölkerungschichten, die sich mit dem, was sie in gerecht genannten Kriegen erlebt haben - oder noch erleben werden, Bush und Putin sorgen schon dafür - auseinandersetzen müssen. Die dafür einen Anker brauchen. Und diesen Anker brauchen wir nicht. Unsere Filme handeln von Zivis, der Soldat kommt selten vor.
Unsere Filme können nicht über verschüttete Traumata aus Kriegen erzählen, ein gesellschaftliches Thema, das offenbar erzählerisch so produktiv ist. Uns bleibt die Beziehungskomödie, und wir sollten froh darüber sein. Oder unserer Generation bleibt, wie es Freund Lutz in einem gewissen Film sagte, die gemeinsame Erfahrung des Booms und des Downturns, von der wir einst unseren Kindern erzählen können wie unsere Väter vom Krieg.
Das ist belangloser, unmännlicher, von geringerer Tragik, da sind Existenzen gescheitert, aber naja. Keine Stahlgewitter.
Für's Leben sehr gut. Für die Filmkunst vielleicht nicht.
In beiden Filmen ist dieses Thema natürlich hochspekulativ, entbehrt aber trotzdem nicht einer gewissen Erdung. Denn es zeigt, dass sowohl die USA von heute als auch das heutige Russland mehr denn je tief vom Millitarismus geprägte Gesellschaften sind, in denen diese Stories, die uns im braven Deutschland ähnlich kolportiert wie Science-Fiction-Szenarien erscheinen, tatsächlich möglich sind. Staaten, die sich im Krieg befinden, und das mit Unterbrechungen seit Jahren. Eine andere Parallele untermauert das: Der Sohn, Alexej, ist auf der Millitärakademie - "warum?" wird er gefragt. "Familientradition" ist seine Antwort. Eine Antwort, die an die Mutter aus Fahrenheit 9/11 erinnert, die von ebendieser Tradition in ihrer Familie erzählt, und dass die Fortführung der Tradition die einzige Chance der Kinder auf einen Weg aus dem Elend ist.
In den USA und in Russland kann es den Kids, die im Kino sind, tatsächlich passieren, dass sie eines Tages auf Einsätze geschickt werden, von denen sie vielleicht nicht zurückkehren oder deren psychologische Folgen sie so verändern, wie sie es mit Jack Bauer oder dem Freund des Vaters gemacht haben - beide kehrten so verändert zurück, dass sie ihre Frauen verließen. Sie werden wohl nicht den Präsidenten umbringen - aber vielleicht drüber nachdenken.
Sie werden sich nicht die Filme Sokurovs ansehen - es gibt genug russische Kriegsstreifen, die den Krieg in Afganistan aufarbeiten oder ausbeuten.
Wir kriegen - leider - wenig aus Russland, aber viel aus Amerika. Wir importieren via Kino und TV einen Großteil unserer Werte aus einem Land im Kriegszustand, dessen Menschen mit ganz anderen Realitäten umgehen müssen als wir.
Das sollte man immer wieder bedenken, wenn man sich mit den Streifen beschäftigt: Hier wird Realität verarbeitet, das ist kein Fantasy-Genre. Realität nicht weniger Menschen (wie im Agentenfilm), sondern ganzer Bevölkerungschichten, die sich mit dem, was sie in gerecht genannten Kriegen erlebt haben - oder noch erleben werden, Bush und Putin sorgen schon dafür - auseinandersetzen müssen. Die dafür einen Anker brauchen. Und diesen Anker brauchen wir nicht. Unsere Filme handeln von Zivis, der Soldat kommt selten vor.
Unsere Filme können nicht über verschüttete Traumata aus Kriegen erzählen, ein gesellschaftliches Thema, das offenbar erzählerisch so produktiv ist. Uns bleibt die Beziehungskomödie, und wir sollten froh darüber sein. Oder unserer Generation bleibt, wie es Freund Lutz in einem gewissen Film sagte, die gemeinsame Erfahrung des Booms und des Downturns, von der wir einst unseren Kindern erzählen können wie unsere Väter vom Krieg.
Das ist belangloser, unmännlicher, von geringerer Tragik, da sind Existenzen gescheitert, aber naja. Keine Stahlgewitter.
Für's Leben sehr gut. Für die Filmkunst vielleicht nicht.
bähr - am Donnerstag, 23. September 2004, 01:38 - Rubrik: Ein andalusischer Film
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