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Von bähr bin ich auf eine Art Jahresrückblick in der ZEIT hingewisen worden. Katja Nicodemus bescheinigt dem Kinojahr 2004 einen Hang zur Gewalt. Benennt dabei so bemerkenswert nichtige Filme wie TROJA und (erstaunlich, das der überhaupt oberhalb der Wahrnehmungsgrenze liegt) THE LAST SAMOURAI als Kronzeugen. Ebanso wie MAN UNDER FIRE und - jetzt wird's endgültig albern - KILL BILL. Über die Gewalt in KILL BILL kann man vielleicht streiten, aber sie als gedankenlose Metzelei abzutun, scheint mir doch etwas schlicht. Viel eher fordert sie dazu auf, sich mit ihr auseinanderzusetzen und keinesfalls in einem - sofern es so etwas überhaupt gibt - überintellektualisiertem Diskurs. Natrürlich gibt es immer die falschen Leute, die "geil" rufen, allein weil es brutal wirrd (manchmal gehöre ich selbast dazu), aber die werden hier eigentlich nicht angesprochen. Man muss schon Spaß an der Weiterverarbeitung von Klischees und Konventionen haben, um Kill Bil 1&2 genießen zu können. Gerade von "Action"- Fans habe ich zu oft gehört: langweilig. Bin ich nur blind für tatsächliche Tendenzen oder habe ich zu Recht eine Tendenz zur Melancholie und nicht zur Verrohung wahrgenommen. Für mich waren die Highlights andere. Und die lagen quer zu dieser vermeintlichen Tendenz zur Gewalt. Die waren zum Teil Sleeper und zum Teil äußerst erfolgreiche U-Boote im Mainstream-Ozean. Ich liebe Gewaltfilme, um es mal so doof drasdtisch zu sagen, aber in diesem Jahr habe ich keinen Film wegen seiner Gewalt geliebt. (Und abgesehehen davon, wie bescheiden TROJA ausgefallen ist, wie friedfertig kann dieser Film sein, angesichts des frommen Wunsches in der ZEIT). Habe ich nur die falschen Filme gesehen, oder warum ist mein Bild des Kinojahres 2004 so vollkommen anders ausgefallen. Listen sind eigentlich scheiße, weil sie einen vollkommen sinnlosen Rahmen vorgeben, dem gerecht zu werden, die Komplexität der letztlich ausgewählten Filme verbietet. Darum hier (mit Kurzbegründung - wahrscheinlich habe ich vor 10 Jahren zu spät das Cinema-Abo gekündigt) die Top Ten so umfangreich sie halt ausfallen mag.
SCHAU MICH AN für die größte Kunst von allen, die Kunst wie Wirklichkeit aussehen zu lassen. Was schon LUST AUF ANDERES mit dem ungleich schöneren Titel LE GOUT DES AUTRES so faszinierend erscheinen ließ,ist hier auf die Spitze getrieben. Mit messerscharfen Dialogen eine beiläufige Atmosphäre zu schafen, in der jeder sich wiederfinden und zugleich ertappt fühlen muss. Die völlig natürliche Verbindung von Drama, Farce, Tragödie und Komödie - und jetzt komm's - die Darstellung von Leben .
LOST IN TRANSLATION für Bilder der Einsamkeit und der Schönheit des flüchtigen Augenblicks. Und für den Blick aus einem Hotelzimmer auf andere Wolkenkratzer. Und für die unhörbar geflüsterte Liebeserklärung und für die Karaoke. Endlos dehnbare Aufzählung, daher Schluss.
VERGISS MEIN NICHT für die einzigartige Fähigkeit, mit der Bebilderung von psychischen Dispositionen, für schockierende Einsichte zu sorgen. Ein ausgelassener und zugleich bestürzend ernsthafter Film.
SPIDERMAN 2. Aus wiederholt genannten Gründen der Blockbuster, der die Möglichkeiten der Comic-Verfilmung ideal nutzt. Ich kann mir kaum vorstellen, was danach noch kommen soll.
BAD SANTA für einen dicken Rotz in das Gesicht der Mitte der Gesellschaft. Für die Erkenntnis, dass der Druck der Konformität alles andere als eine heilsame Wirkung hat. Dass Du mit deiner Scheiße allein klarkommen musst. Und dass lediglich die Gemeinschaft der FREAKS (1932) ein gewisses Maß an Trost bereit hält.
AMERICAN SPLENDOR für die auch ästhetisch ungeheuer überzeugend dargebrachte Botschaft, dass die Tristesse des Lebens weitaus spannender ist als die vermeintlichen "Abenteuer" der CATWOMAN.
COLLATERAL für ein mit LOST IN TRANSLATION vergleichbares Wagnis, nämlich seine Geschichte über den Ort und die Atmosphäre zu erzählen. Eine Odyssee in die helle Nacht. Wann endlich schreibt James Ellroy eine Roman für Michael Mann. Oder hat er es schon getan?
THE INCREDIBLES: Alles Wichtige ist schon im Filmtagebuch gesagt.
INTIME FREMDE. Das Wort, das mir für Patrice Leconte (seit DER MANN DER FRISEUSE) einfällt, ist "slick". Ich kann nicht genau sagen, was es bedeutet (bei Langenscheid nachschlagen), aber ich glaube seine Filme illustrieren es recht gut. Das gilt auch ein wenig für CONFIDENCE TROP INTIMES, aber auf eine Weise, die mich sefzen lässt. Diese Schauspieler, diese Situation, diese Kamera (Porträt Eduardo Serra demnächst auf 3Sat). Ein Hochgenuss von Anfang bis Ende. Fabrice Luchini/Sandrine Bonnaire. 3x wiederholt.
Weil der neue Rivette wie mittleweile üblich nur eine Kopie hat, ist er natürlich noch ni´cht in Kiel gewesen. Trotzdem, und darauf verwette ich meinen Kopf, ein Höhepunkt des Jahres, für mich wahrscheinlich des nächsten.
JUST A KISS: Ein schwächerer Loach und doch ein Gegengift zum brutalen Sozialkitsch a la BILLY ELLIOTT.
AGNES UND SEINE BRÜDER ist so unmässig und überbordend, dass er sogar den eigentlich viel leidenschaftlicheren DER ALTE AFFE ANGST übertrifft. Aber nur eigentlich.
DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER. Wirklich radikales Kino. Ohne auch nur einen Kompromiss. Das, was implizit immer gefordert wird, wenn wachsweichen Dramen der Vorwurf des Kompromisses gemacht wird, was aber, wenn es dann geschieht, mit fadenscheinigen, ja unsinnigen und an der Sache schwer vorbeigehenden Argumenten ("abgefilmtes Theater") abgebügelt wird.
OLDBOY für die Qualität, die ich fast nur von Bunuel kenne, nämlich das Fremde wie das normale aussehen zu lassen und es einem so näher zu bringen, als man vielleicht tatsächlich will.

Und weil es ja schon spät ist und morgen schon der Jahreswechsel ansteht, und weil so eine blöde Liste einfach nie komplett ist, noch einen letzten Film (ich habe etliche vergessen und werde mich nicht scheuen, sie nachzureichen): OUT OF TIME. So glänzendes Genre-Kino sieht man nicht alle Tage. Wo die Atmosphäre stimmt. Wo die einzelnen Szenen uneitle Bravourstücke sind. Ich kann nicht ins Detail gehen, weil ich ihn Mitte des Jahres im ´Kino gesehen habe und Details schlicht vergessen habe, aber ich will ihn unbedingt auf DVD nochmal sehen. Das kann ich nicht von so vielen Filmen behaupten.
Und überhaupt - heute mit bähr ein wenig darüber diskutiert - kommen die größten Kicks aus dem Fernsehen. WEST WING ist halt einfach sensationell, aber hat natürlich auch beste Voraussetzungen, mit jeder Folge neu zu glänzen. Dagegen möchte ich das echte (nicht diesen HERR DER RINGE- und STAR WARS-Unfug) Kino ausdrücklich in Schutz nehmen. Eindrücke wie LOST IN TRANSLATION oder COLLATERAL kann nur das Kino vermitteln. Auch DVD ist hier im Hintertreffen. Folgen wie "20 Hours in America" (WEST WING) kann es nur im Fernsehen (=DVD) geben.
Alles in Allem: Lassen wir Katja Nicodemus auf die großen Kriegsfilme hoffen (als Reflex auf unsere wahrhaft kriegerischen Zeiten), loben sie dafür, dass sie dem Filmteil der ZEIT eine Vielzahl exzellenter Autorinnen zugeführt hat, aber sehen wir jenseits der vermeintlich "sinnlosen Gewalt" auf die Geworfenheit der Kreatur, die uns dieses Kinojahr in unzähligen Erscheinungsformen aufs schönste dargelegt hat. Ich fand 2004 ein gutes Jahr und hoffe auf 2005, das für uns Paria, die wir nur beschränkten Zugang zu Pressevorführungen haben, immerhin mit THE AVIATOR und 2046 beginnt,
Anke5 meinte am 1. Jan, 12:15:
Ah, endlich kriegt "Collateral" mal ein bisschen Lob. Habe fast nur Verrisse über ihn gelesen, ihn mir aber vor ein paar Tagen auf DVD angeschaut und hatte auch den Vergleich zu "Lost in Translation" im Kopf. Mir kam er teilweise wie eine Meditation über die Stadt und die Bewegung vor. Die Action-Einschübe haben's mir dann wieder ein bisschen verleidet, aber im Großen und Ganzen fand ich ihn sehr stimmungsvoll und -- ja, schön. 
ThGroh antwortete am 1. Jan, 16:37:
Wunderschöne Zusammenstellung, die sich zudem auffallend mit meinen eigenen Eindrücken deckt. Extrapunkte zudem für den Billy Elliot-"Diss". Grauenhafter Film.

Und, Collateral, ja, groß, ganz groß natürlich. Ein Film, der Freude beim Sehen macht, ganz einfach, weil er zunächst mal ganz primär "gut" ist, dann aber nach der Sichtung noch zusehends wächst, so dass schnell die Lust entsteht, ihn erneut (und diesmal "richtig") zu sehen/zu genießen. 
 

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