95 Thesen
anfangsdinge
Berlinale 2005
blockbusters!
Der Tod bei der Arbeit
Der Zufall, moeglicherweise
Ein andalusischer Film
Gegendarstellung
Grosse Kulturleistungen
It's only DVD but I like it
love etc.
mythen des alltags
Portrait of a serial actor
schau das an, Kisch!
Seasons in the Sun
things i never told you
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

 
Und wieder einmal zahlt sich das Leben im Norden aus: Freund Tobias, der in Kopenhagen Film studierte, erzählt nach dem Kinobesuch, er hätte den Film "Der perfekte Mensch" von Jørgen Leth so 1975 gemeinsam mit Lars von Trier im Rahmen eines Filmgeschichtsseminars gesehen. Und nein, das ist keine Pose in dem Sinne wie der Mann auftritt, der ist so: Schnöselig distanziert, verschmitzt-schwitzig, dabei irgendwie freundlich und amüsant. Und absolut hermetisch. Der hatte so ein Elternhaus, wo jedem Wort, jeder Geste eine Bedeutung, eine Anklage, eine enttäuschende Respektlosigkeit unterstellt wurde. Und so redet er tatsächlich noch heute. Jedes Wort, dass er in diesem Film sagt, scheint er schon vorher im Hirn dreimal umgedreht, bedacht, komplexbeladen, mit Ironie und der vorwegnehmenden Spiegelung der Ironie durchwirkt zu haben. Trier, im schlumpfigen Sweatshirt mit Halstuch, gegenüber: Jørgen Leth, Grandseigneur des modernen dänischen Films, freundlich, offen, blendend aussehend (man stelle sich Nick Nolte vor, das passt). Der Film "Der perfekte Mensch" sagt von Trier einmal, sei der Film, der ihm am nächsten sei. Das überrascht - doch vorab: worum geht es? Trier lädt den bewunderten Leth zu einem Experiment ein: Der soll eben diesen Film "Der perfekte Mensch", gedreht 1967, noch einmal drehen - nein, nicht einmal, fünfmal. Und zwar unter Bedingungen, die Trier diktiert. Ein Spiel. Daher der Titel: Die fünf Hindernisse. Es sind eher Gruppen von Hindernissen. Der Ursprungsfilm ist ein sehr moderner, kalter, beobachtender Film, in der ein Mann (und manchmal eine Frau) in Abendgaderobe bei alltäglichen Tätigkeiten gezeigt werden, in einer absolut leeren, weißen Umgebung - manchmal leicht verfremdet: Der Mann, Claus Nissen, tanzt, ohne Musik. Er isst. Er rasiert sich. Dazu mal Off-Kommentar: "Das ist der perfekte Mensch. Was tut er. Er tanzt. Sehen wir ihm zu, wie er tanzt. Woran denkt er." Trier gibt vor, Leth mit seinen Aufgaben aus der Beobachterposition drängen zu wollen, ihn dazu zu bringen, sein Thema an sich heranzulassen. Die 1. Aufgabe: Drehe den Film neu, in Kuba, mit nur 12 Bildern pro Einstellung, ohne Set. 2. Aufgabe: An einem grauenvollen, erbärmlichen Ort (Leth wählt eine Rotlicht-Straße in Bombay). Etc.
Und, tatsächlich wenig überraschend, wenden sich die normalen Beschränkungen, die Hindernisse ins Positive, Leth dreht interessante neue Varianten. Ein Exkurs über Freiheit und Zwang und ihre Beziehung zur Kunst - überraschende Lösungen entspringen formalen Beschränkungen. Die Idee, Filmen mit einem Regelwerk zu Leibe zu rücken, um sie zu befruchten ist bei Trier nicht neu: nichts anderes tat er in "Idioten", nichts anderes als "Obstructions" sind die Regeln der "Dogma"-Filmer, nichts anderes die Idee: "Drehe einen Film ohne Kulissen" in "Dogville". Glaubt man der kleinen Familienschilderung vom Anfang, so ist der innere Trier von neurotischen Bedeutungs- und Regelsystemen geprägt, die er für die künstlerische Arbeit produktiv gemacht hat. Wenn Kunst des äußeren Zwanges, der Einschränkung bedarf (man denke nur an das Lamento der DDR-Künstler nach der Wende, als sie plötzlich alles direkt sagen konnten, ihre Chiffren also nicht mehr funktionierten, man denke an die produktive künstlerische Energie versteckter Homosexualität), um zu entstehen, und die absolute Freiheit lähmt, so kommt eine verkorkste Innenwelt dem Künstler im gepflegten, fast zwanglosen Westeuropa gerade recht. Man darf also sicher "The Five Obstructions" als Schlüssel zu zumindest einem Schloss des Trier'schen Werkes verstehen.
Ein wunderbarer Film, der, nebenbei, in Dänemark vor allem mit dem Namen des Jørgen Leth vermarktet wird, anderswo natürlich mit dem Namen Trier. Ein Film, der bestätigt, das häufig die kleinen, die Nebenwerke der großen Autorenfilmer (zu den Lars von Trier ihne Zweifel gehört), die schönsten sind (A Straight Story!!). Keine goldene Palme soll hier gewonnen werden, kein großes Wort für's eigene Werk gesprochen, die eigentliche Kunst der Filmemacher wird nicht von Ambition zerquetscht. Diesen Film in seiner formalen Buntheit und Verspieltheit, in seiner gedanklichen Tiefe und humorigen Entspanntheit schaue ich mir sofort nochmal an - "Dogville" nicht, das ist zuviel Arbeit.
Und ein Wort noch vom anderen Ende der Fahnenstange: So nette, so intelligente, so herausfordernde Hindernisse auf dem Weg zum Produkt wünscht sich der kreative Bergarbeiter auch mal. Also echt.
 

twoday.net AGB

xml version of this page (summary)

powered by Antville powered by Helma

Site Meter