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Am selben Tag "Vater und Sohn" von Sokurov und vier weitere Folgen von "24" (jetzt fehlen noch vier). Wenig überraschend: unterschiedlicher geht's kaum. Sokurov, wie immer, faszinierendes, elegisches, langsames, ästhetisiertes Kunstkino, 24 - packende und im Tempo verdichtete Variation bekannter Themen. Und doch haben sie eine verblüffende Gemeinsamkeit: Bei beiden geht es zentral um einen Soldaten, der auf einen geheimen Kommandoauftrag geschickt wurde, der scheiterte. Der eine - Jack Bauer, wird zeitweilig verdächtigt, deshalb den zukünftigen Präsidenten umbringen zu wollen, der damals den Befehl gab. Von dem anderen - dem namenlosen, verschollenen Freund des Vaters - erzählt man sich genau dasselbe. In zwei Sätzen nur scheint dieses Thema in Sokurovs sonst so verkunstetem, aller Konkretisierung absichtsvoll enthobenem Ballett auf. Ein Einbruch der Realität in die Kunstwelt, die er sorgsam aus St. Petersburg und Lissabon zusammengehäkelt hat. Der ahnen lässt, was eigentlich der Abgrund ist, über dem die Männer den ganzen Film lang so selbstverständlich-erschreckend hinwegtanzen.
In beiden Filmen ist dieses Thema natürlich hochspekulativ, entbehrt aber trotzdem nicht einer gewissen Erdung. Denn es zeigt, dass sowohl die USA von heute als auch das heutige Russland mehr denn je tief vom Millitarismus geprägte Gesellschaften sind, in denen diese Stories, die uns im braven Deutschland ähnlich kolportiert wie Science-Fiction-Szenarien erscheinen, tatsächlich möglich sind. Staaten, die sich im Krieg befinden, und das mit Unterbrechungen seit Jahren. Eine andere Parallele untermauert das: Der Sohn, Alexej, ist auf der Millitärakademie - "warum?" wird er gefragt. "Familientradition" ist seine Antwort. Eine Antwort, die an die Mutter aus Fahrenheit 9/11 erinnert, die von ebendieser Tradition in ihrer Familie erzählt, und dass die Fortführung der Tradition die einzige Chance der Kinder auf einen Weg aus dem Elend ist.
In den USA und in Russland kann es den Kids, die im Kino sind, tatsächlich passieren, dass sie eines Tages auf Einsätze geschickt werden, von denen sie vielleicht nicht zurückkehren oder deren psychologische Folgen sie so verändern, wie sie es mit Jack Bauer oder dem Freund des Vaters gemacht haben - beide kehrten so verändert zurück, dass sie ihre Frauen verließen. Sie werden wohl nicht den Präsidenten umbringen - aber vielleicht drüber nachdenken.
Sie werden sich nicht die Filme Sokurovs ansehen - es gibt genug russische Kriegsstreifen, die den Krieg in Afganistan aufarbeiten oder ausbeuten.
Wir kriegen - leider - wenig aus Russland, aber viel aus Amerika. Wir importieren via Kino und TV einen Großteil unserer Werte aus einem Land im Kriegszustand, dessen Menschen mit ganz anderen Realitäten umgehen müssen als wir.
Das sollte man immer wieder bedenken, wenn man sich mit den Streifen beschäftigt: Hier wird Realität verarbeitet, das ist kein Fantasy-Genre. Realität nicht weniger Menschen (wie im Agentenfilm), sondern ganzer Bevölkerungschichten, die sich mit dem, was sie in gerecht genannten Kriegen erlebt haben - oder noch erleben werden, Bush und Putin sorgen schon dafür - auseinandersetzen müssen. Die dafür einen Anker brauchen. Und diesen Anker brauchen wir nicht. Unsere Filme handeln von Zivis, der Soldat kommt selten vor.

Unsere Filme können nicht über verschüttete Traumata aus Kriegen erzählen, ein gesellschaftliches Thema, das offenbar erzählerisch so produktiv ist. Uns bleibt die Beziehungskomödie, und wir sollten froh darüber sein. Oder unserer Generation bleibt, wie es Freund Lutz in einem gewissen Film sagte, die gemeinsame Erfahrung des Booms und des Downturns, von der wir einst unseren Kindern erzählen können wie unsere Väter vom Krieg.
Das ist belangloser, unmännlicher, von geringerer Tragik, da sind Existenzen gescheitert, aber naja. Keine Stahlgewitter.
Für's Leben sehr gut. Für die Filmkunst vielleicht nicht.
 

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