Rein zufällig habe ich Fahrenheit 9/11 nach dem Genuss von zwei Folgen aus der ersten Staffel von West Wing zu mir genommen. Ein gnädiger Zufall, denn das passt ungemein. Zum einen sind dies wohl die beiden wichtigsten medialen Ereignisse, die sich mit US-Präsidenten beschäftigen, und sie zeigen den Ausschlag des Pendels in beide Richtungen im Extrem: Während man den realen Präsidenten nach Fahrenheit 9/11 natürlich sofort aus dem Amt jagen möchte, möchte man den fiktiven in selbiges heben. Möglicherweise enthalten beide Konstrukte ein ähnliches Maß an Fiktion und Abbildung wahrer Gegebenheiten. Auf jeden Fall wird mit Jed Bartlet, dem Präsidenten in der Serie, ein Mann gezeigt, der, wiewohl nicht perfekt, ein gleichzeitig intellektuelles wie moralisches Schwergewicht ist, der die Potenziale, die ein Politiker für dieses Amt mitbringen kann, voll ausschöpft - George W. Bush beschreibt in seiner Person das glatte Gegenteil.
Ein tragisches Verhältnis von Fiktion und Realität, möchte man meinen.
Zum zweiten: Beide Filme basieren auf ihre Weise auf dem schwer zu verstehenden Missverhältnis zwischen der Menschlichkeit jedes Mächtigen und der Macht, die ihm sein Amt, seine Stellung verleiht.
Wie kann einem einzelnen Menschen durch eine Wahl ein solcher Einfluss auf Millionen eingeräumt werden? Wie kann er, nachdem diese Macht in ihn geflossen ist, noch ein herkömmlicher Mensch sein? Wie ist die Diskrepanz zwischen der Zeit am Tag, zu der ein Präsident das Schicksal ganzer Nationen entscheidet, und der, zu der er sich mit dem Golfspiel oder dem Betrachten von Sportübertragungen beschäftigt, begreifbar? Wie kann sich ein solcher Mensch überhaupt noch für Sport begeistern? Muss die Macht ihn nicht verändern, dem normal-menschlichen entheben?
Michael Moore beantwortet diese Frage, in dem er nachzuweisen Versucht, dass das "Erhabene" der Macht im Mächtigen selbst keinen Raum hat, dass er für dieses Erhabene kein Bewusstsein hat, dass er die Verantwortung Macht, die ihm gegeben ist, nicht empfindet.
Daher die Szenen beim Golfspiel, auf der Farm, etc.
Er zeigt, dass er die Macht eim Gegenteil schamlos zu seinem Vorteil nutzt, wie er alles zu seinem Vorteil nutzt, dass die Position als Oberkommandierender der schrecklichsten Streitmacht der Welt für ihn also keine andere moralische Dimension hat als etwa der Job als Chef einer maroden Ölfirma: Er versucht für sich und seine Kumpels rauszuholen, was rauszuholen ist. Das ist, wenn es stimmt, schlimm, aber andererseits erfreulich pragmatisch: Ideologische Verblendung, Hitlereske Verbrechen aus Leidenschaft oder Weltbeherrschungsfantasien unterstellt Moore ihm nicht. Es hat etwas merkantil-dümmliches, nichts irrational-ideologisches. Der Mann wird aufhören, Länder zu bombardieren, wenn es sich für ihn finanziell nicht mehr lohnt. Und konsequenterweise bleiben im Film Bushs irrational-ideologischen Seiten, sowohl sein Erweckungs-Christentum als auch die neo-konservative Doktrin seines Beraters Wolfowitz, außen vor. Er zeigt Bush eben nicht als Machtmenschen, sondern als Menschen, der garnicht begreift, was Macht ist, und sie eben darum umso ungehemmter einsetzt: Ein Krieg ist für ihn nichts anderes als ein cleverer Geschäftsdeal.
Die Frage, wie normale Menschen mit der Macht, die auf sie gefallen ist, umgehen, ist auch eine der wichtigsten dramaturgischen Triebfedern von "The West Wing". Denn ein Mensch verändert sich nicht im Inneren von dem Moment der Präsidentenwahl an, er bleibt, was er schon vorher war. Seine Wirkung verändert sich. Und deswegen können eben nur besondere Menschen wie Jed Bartlett, die schon vorher "Präsidentenhaft" gewesen sind, diese Rolle wahrhaft einnehmen, denen also schon immer etwas Übermenschliches anhaftete, wie man es von ihm annehmen muss und soll. Genug wird angedeutet: Uralter Ostküstenadel aus Revolutionszeiten, Nobelpreisträger, Wirtschaftsprofessor, ein wandelndes Lexikon und, immer wenn es drauf ankommt, auf den Punkt informiert und verblüffend kompetent. Nicht, dass nicht gezeigt würde, woher ein großer Teil dieser Kompetenz stammt, nämlich aus Briefings, aus dem ihn umgebenden Apparat, aber ein Rest bleibt, der auch immer wieder seine "Staff" erstaunt. Und gerade das Erstaunen und die Ehrfurcht dieser Vollprofis, die ja eigentlich genau wissen müssen, wie dieser Präsident funktioniert, vor ihm und seinen geistigen und moralischen Fähigkeiten ist es, das ihn dem Weltlichen ein Stück enthebt, eigentlich erst zum wirklichen Präsidenten macht, eine erhabenes Etwas, das außerhalb des "West Wing" überhaupt nicht vom normalen, medial erzeugten präsidialen Rest zu unterscheiden ist - das wirklich Präsidentenhafte enthüllt sich nur den engsten Mitarbeitern und durch ihre Wahrnehmung natürlich auch den Zusachauern.
"The West Wing" also schlägt den Präsidenten vor, dem es in die Wiege gelegt worden ist, einen Berufenen, der die Last auf sich genommen hat, weil er - vielleicht als einziger - wirklich dazu in der Lage ist. Die Mechanik des Weißen Hauses hilft ihm, Präsident zu sein - sie kann ihn nicht dazu machen.
Moore fährt gehörigen Aufwand auf, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit schlechter und schlichter ist als das Bild, das die Medien zeigen - in "The West Wing" reichen stille Momente der Bewunderung der "Staff", an denen wir teilhaben dürfen, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit besser ist als das Bild, dass im Land durch die Medien ankommt. Und das gerade jene anderen Protagonisten der Serie in so aufreibender Arbeit an das des wahren Präsidenten heranführen müssen. Was für ein schöner Trick.
Während der Mooresche Ansatz bei aller Empörung über die Realität ein wenig beruhigend ist - er entzaubert die Macht, macht sie berechenbar - ist der von "The West Wing" erhaben, aber auch deprimierend: Einen solchen "geborenen" Präsidenten wird es nicht geben, und wenn es ihn gibt, wird er nicht Präsident werden. Die Person, die schon, bevor sie die Macht hat, die entsprechende Persönlichkeit bereithält, ist ein momarchistischer Mythos, ironisch, dass dem gerade der Erbfolger George Bush II als Gegenbild des maximal ohnmächtigen (im beschrieben Sinne) gegenübersteht.
Ein tragisches Verhältnis von Fiktion und Realität, möchte man meinen.
Zum zweiten: Beide Filme basieren auf ihre Weise auf dem schwer zu verstehenden Missverhältnis zwischen der Menschlichkeit jedes Mächtigen und der Macht, die ihm sein Amt, seine Stellung verleiht.
Wie kann einem einzelnen Menschen durch eine Wahl ein solcher Einfluss auf Millionen eingeräumt werden? Wie kann er, nachdem diese Macht in ihn geflossen ist, noch ein herkömmlicher Mensch sein? Wie ist die Diskrepanz zwischen der Zeit am Tag, zu der ein Präsident das Schicksal ganzer Nationen entscheidet, und der, zu der er sich mit dem Golfspiel oder dem Betrachten von Sportübertragungen beschäftigt, begreifbar? Wie kann sich ein solcher Mensch überhaupt noch für Sport begeistern? Muss die Macht ihn nicht verändern, dem normal-menschlichen entheben?
Michael Moore beantwortet diese Frage, in dem er nachzuweisen Versucht, dass das "Erhabene" der Macht im Mächtigen selbst keinen Raum hat, dass er für dieses Erhabene kein Bewusstsein hat, dass er die Verantwortung Macht, die ihm gegeben ist, nicht empfindet.
Daher die Szenen beim Golfspiel, auf der Farm, etc.
Er zeigt, dass er die Macht eim Gegenteil schamlos zu seinem Vorteil nutzt, wie er alles zu seinem Vorteil nutzt, dass die Position als Oberkommandierender der schrecklichsten Streitmacht der Welt für ihn also keine andere moralische Dimension hat als etwa der Job als Chef einer maroden Ölfirma: Er versucht für sich und seine Kumpels rauszuholen, was rauszuholen ist. Das ist, wenn es stimmt, schlimm, aber andererseits erfreulich pragmatisch: Ideologische Verblendung, Hitlereske Verbrechen aus Leidenschaft oder Weltbeherrschungsfantasien unterstellt Moore ihm nicht. Es hat etwas merkantil-dümmliches, nichts irrational-ideologisches. Der Mann wird aufhören, Länder zu bombardieren, wenn es sich für ihn finanziell nicht mehr lohnt. Und konsequenterweise bleiben im Film Bushs irrational-ideologischen Seiten, sowohl sein Erweckungs-Christentum als auch die neo-konservative Doktrin seines Beraters Wolfowitz, außen vor. Er zeigt Bush eben nicht als Machtmenschen, sondern als Menschen, der garnicht begreift, was Macht ist, und sie eben darum umso ungehemmter einsetzt: Ein Krieg ist für ihn nichts anderes als ein cleverer Geschäftsdeal.
Die Frage, wie normale Menschen mit der Macht, die auf sie gefallen ist, umgehen, ist auch eine der wichtigsten dramaturgischen Triebfedern von "The West Wing". Denn ein Mensch verändert sich nicht im Inneren von dem Moment der Präsidentenwahl an, er bleibt, was er schon vorher war. Seine Wirkung verändert sich. Und deswegen können eben nur besondere Menschen wie Jed Bartlett, die schon vorher "Präsidentenhaft" gewesen sind, diese Rolle wahrhaft einnehmen, denen also schon immer etwas Übermenschliches anhaftete, wie man es von ihm annehmen muss und soll. Genug wird angedeutet: Uralter Ostküstenadel aus Revolutionszeiten, Nobelpreisträger, Wirtschaftsprofessor, ein wandelndes Lexikon und, immer wenn es drauf ankommt, auf den Punkt informiert und verblüffend kompetent. Nicht, dass nicht gezeigt würde, woher ein großer Teil dieser Kompetenz stammt, nämlich aus Briefings, aus dem ihn umgebenden Apparat, aber ein Rest bleibt, der auch immer wieder seine "Staff" erstaunt. Und gerade das Erstaunen und die Ehrfurcht dieser Vollprofis, die ja eigentlich genau wissen müssen, wie dieser Präsident funktioniert, vor ihm und seinen geistigen und moralischen Fähigkeiten ist es, das ihn dem Weltlichen ein Stück enthebt, eigentlich erst zum wirklichen Präsidenten macht, eine erhabenes Etwas, das außerhalb des "West Wing" überhaupt nicht vom normalen, medial erzeugten präsidialen Rest zu unterscheiden ist - das wirklich Präsidentenhafte enthüllt sich nur den engsten Mitarbeitern und durch ihre Wahrnehmung natürlich auch den Zusachauern.
"The West Wing" also schlägt den Präsidenten vor, dem es in die Wiege gelegt worden ist, einen Berufenen, der die Last auf sich genommen hat, weil er - vielleicht als einziger - wirklich dazu in der Lage ist. Die Mechanik des Weißen Hauses hilft ihm, Präsident zu sein - sie kann ihn nicht dazu machen.
Moore fährt gehörigen Aufwand auf, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit schlechter und schlichter ist als das Bild, das die Medien zeigen - in "The West Wing" reichen stille Momente der Bewunderung der "Staff", an denen wir teilhaben dürfen, um uns zu überzeugen, dass der Präsident weit besser ist als das Bild, dass im Land durch die Medien ankommt. Und das gerade jene anderen Protagonisten der Serie in so aufreibender Arbeit an das des wahren Präsidenten heranführen müssen. Was für ein schöner Trick.
Während der Mooresche Ansatz bei aller Empörung über die Realität ein wenig beruhigend ist - er entzaubert die Macht, macht sie berechenbar - ist der von "The West Wing" erhaben, aber auch deprimierend: Einen solchen "geborenen" Präsidenten wird es nicht geben, und wenn es ihn gibt, wird er nicht Präsident werden. Die Person, die schon, bevor sie die Macht hat, die entsprechende Persönlichkeit bereithält, ist ein momarchistischer Mythos, ironisch, dass dem gerade der Erbfolger George Bush II als Gegenbild des maximal ohnmächtigen (im beschrieben Sinne) gegenübersteht.
bähr - am Montag, 9. August 2004, 01:08 - Rubrik: things i never told you
Blake Falls meinte am 16. Aug, 14:47:
Wild Palmer
Zuerst einmal Danke für diese wunderbar einleuchtenden Gedanken. Werde mir nun tatsächlich noch heute die Box der ersten Staffel WEST WING besorgen. Habe mich selbst gerade durch die zweite Staffel 24 gekämpft und ganz abgesehen davon, dass das Fernsehen hier in meinen Augen die wohl bislang komplexeste und aussagekräftiste Aufarbeitung von 9/11 geleistet hat, die ich bislang zu Gesicht bekommen habe, musste ich beim Lesen des Textes natürlich sofort an den dort vorkommenden Präsident Palmer denken.
In der ersten Staffel 24 hatte ich noch so meine Schwierigkeiten mit dessen Denzel Washington-haften, selbstgerechten Aufrichtigkeit gehabt, aber gerade die zweite Staffel hat ja nun gezeigt, wie in diesem von Verschwörungen und Lügen gepägten Umfeld seines Beraterstabes, diese Aufrichtigkeit unvermeidlich gegen die Wand fährt. Die Macht dieses Präsident scheint in der aufgepeitschten Paranoia-Welt von 24, ja konsequenter Weise viel weiter zu gehen, als Moore sie in seiner Version von Amerika heute darstellt (u.a. zeigt 24 den Präsidenten nicht nur Journalisten inhaftieren, sondern auch selbst aktiv beim Foltern eines vermeintlichen Terroristen), gleichzeitig steht Präsident Palmers Macht aber auch auf denkbar wakeligeren Beinen. Mit jeder Entscheidung die er fällt, mit jeder Anweisung die er erteilt entscheidet er nicht nur über Leben und Tod seiner Untergebenen, sondern macht sich auch selbst zunehmend angreifbarer. In 24 gibt es kein richtig oder falsch mehr, nur noch Konsequenzen, Verrat und Tod. Entscheidungen müssen gefällt werden und die Frage ob es richtig ist ein Kind zu erschießen oder einem Verhörten den Kopf abzutrennen, lässt sich wirklich nicht mehr eindeutig beantworten. Willkommen im Informations-Zeitalter.
bähr antwortete am 17. Aug, 07:35:
Kleine Typologie
24 steht auch bei mir ganz oben auf der Liste - hatte versucht, mir das bei der Erstausstrahlung anzusehen, da konnte ich aber der schnellen Sendefolge nicht folgen, außerdem nervten die Unterbrechungen. Das Präsidentenbild, das Sie schildern, hört sich nach der Weiterentwicklung eines der beliebtesten US-Mythen an: Die zentrale Administration ist korrupt, der washingtoner Beamtenapparat samt Senatoren und Kongressmitgliedern erst recht - nur der "von außen" kommende Präsident steht aufrecht und muss sich gegen sein Umfeld behaupten, ja es erst durchschauen. Und wird natürlich in Versuchung geführt.
Ich bin gespannt.
Blake Falls antwortete am 17. Aug, 08:45:
Der Präsident als moralische Instanz
Für 24 empfehle ich Ihnen nicht nur wegen dem Werbeblock-freien Genuß zur DVD-Box zu greifen. Die Serie war im deutschen Fernsehen nur in stark zensierten Form zu sehen, da man ansonsten die 20.15 Uhr Schiene nicht hätte belegen können.Das wunderbare an 24 finde ich ist, dass es zwar einen von, meist großindustriellen Eigenintressen geleiteten Beamtenapparat zeigt, aber eben nicht um so die Aufrichtigkeit und moralische Integrität des Präsidenten besser abfeiern zu können. Diese läuft hier vielmehr regelmäßig völlig ins Leere. Immer wieder zwingt der Verlauf der Handlung, besonders gerade die vermeintlich "Guten" Entscheidungen zu fällen deren Konsequenzen die Grenzen zwischen Richtig und Falsch immer wieder aushebeln. Da kann der Präsident noch so aufrecht tun, das Blut unter seinen Fingernägeln bekommt er in seiner Selbstgerechtigkeit dann eben doch nicht mehr weg.