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Der Tod bei der Arbeit

krabat

Als Kind war das Kino für mich ein doppelgesichtiger Ort. Denn einerseits gab es dort das harmlose Vergnügen – etwa, wenn ich mich an das Jahr 1978 erinnere, dessen Sommer ich damit verbrachte, mich, angestachelt durch spektakuläre Vorankündigungen, auf „Elliot das Schmuzelmonster“ zu freuen. Natürlich war ich ein pflichtbewusster Leser der „Micky Maus“, in der kleine Geschichten und tolle Abbildungen dieses kommenden Ereignisses schon zu sehen waren, und so war ich bestens auf die fantastischen Tricks, die zu erwarten waren vorbereitet. Ein Film, in dem ein Zeichentrickmonster gemeinsam mit echten Kindern auftrat! Galaktisch! Ebenso vorgearbeitet wurde natürlich für „Bernard und Bianca“, einer der schönsten Disney-Filme meiner Kindheit. Auch er ein Film dieses Filmwinters, der in meiner Erinnerung die sehr viel größere Rolle spielt, weil er einfach der weitaus bessere Film war. Aber natürlich war das Jahr 1978 in Deutschland auch das Jahr des ersten Star Wars-Films. Er löste, auch in meiner kleinen Stadt im Norden, eine Euphorie ohne gleichen aus. Der Soundtrack in der Hitparade! Poster an Kinderzimmerwänden! Fotoromane in der BRAVO! Ältere auf dem Schulhof, die erzählten. Und die natürlich die Geschichte nachspielten, sich mit den geheimnisvollen Rollennamen ansprachen. Das Geräusch der Laserschwerter („Dzummmm!!!“) imitierten. Ich witterte so einiges. Und ja, meine Schwester hatte ja die BRAVO. Und so sah ich mir natürlich auch die Bilder an, die Bilder, die mich schaudern machten. Auf dünnem Papier das Laserschwertduell zwischen Darth Vader und Luke Skywalker. Das war für mich die dunkle Seite des Kinos, die jenseits der kindlichen Begeisterung für einen Trickfilm lag: Hier war eine große, unheimliche, fasznierende, beängstigende Geschichte. Es war dunkel, es ging um Tod, Leben und abgehackte Hände. Ich sah mir diese Fortsetzung des Fotoromans oft an. In der Schauburg lief der Film sehr lange, und er lief in diesem Jahr auch noch Weihnachten. Und an einem Adventsabend, als das endlose Warten auf den Tag der Tage auf seinen zermürbenden Höhepunkt zulief, beschloss meine Mutter, man wolle sich diesen Film doch nun auch einmal ansehen. Und dass ich, obwohl noch keine zwölf, mitdürfte. Ich willigte begeistert ein, doch im Laufe des Nachmittags, wir wollten in die Sechsuhrvorstellung, keimten Zweifel in mir auf. Noch einmal nahm ich die sorgsam aufgehobene Fotoseite in die Hände. Oh nein, mir wurde klar, dass ich nicht mitkommen würde. Ich hatte Angst. Ich hatte auch Angst, den Film NICHT zu sehen. Nicht zu den Wissenden zu gehören. Ich musste doch mit. Ich steckte fest. Ich blieb verzweifelt zu Hause zurück, und beschloss fernzusehen, um mich von der Niederlage, die ich mir selbst bereitet hatte, abzulenken. Es lief ein Trickfilm, ein tschechischer Märchenfilm, der ein Jahr zuvor entstanden war: „Krabat“ von Karel Zeman. Die Geschichte von dem Jungen, dessen Eltern sterben, und der bei einem Müller in die Lehre eintritt. Der Müller ist ein Zauberer, der stets zwölf Lehrlinge hat. Einer von ihnen wird am Ende jedes Jahres geopfert, um dem alten Zauberer ein neues Lebensjahr zu erkaufen. Wie Krabat ihm ausgeliefert ist, von ihm geschunden wird, in der Mühle bis aus Blut arbeiten muss, in einen Raben verwandelt wird, selbst am Ende dann als Opfer ausgewählt wird. Wie er den Zauberer besiegt, durch dessen hölzernen Kopf in der letzten Szene dann ein gewaltiger Riss fährt, der sein Gesicht spaltet. Ein Kind, ganz allein, ohne Schutz, ohne Macht dem BÖSEN ausgeliefert, GANZ ALLEIN! Ich war gebannt, entsetzt. Einer der gruseligsten Filme, die ich je gesehen habe. Ein Film, neben dessen schrecklicher Geschichte „Star Wars“ noch heute wie ein freundlich-naives Märchen mit ein paar spannenden Szenen erscheint. Im vorweihnachtlichen Kinderprogramm. Draußen war es dunkel. Als meine Mutter und meine Schwester zurückkamen, waren sie heiterer Laune und erzählten von dem Film. Ich hatte in der Phase meines Zweifels erwartet, dass ich sehr neidisch sein würde – ich war es nicht. Es gab heißes Nesquik, ich lauschte zerstreut. Ich schaute mir Star Wars wenig später doch noch an. Kein Vergleich – ein großer Spaß, natürlich spannend und begeisternd. Auch ein Waisenkind. Auch dem BÖSEN ausgeliefert, einem schlimmen Zauberer. Aber nicht hilflos. Nicht allein. Nicht so entsetzlich hoffnungslos. Die schreckliche Verlassenheit, vor der sich ein Kind so fürchten kann, scheint Luke Skywalker kaum zu berühren. Der Riss im Kopf des Zauberers war erlösender als der explodierende Todesstern. Das größere Bild.

Noch heute spüre ich den Schrecken, der mich an einem Vorweihnachtsabend allein zu Hause vor dem Fernseher überkam. Und das Glück über ein gutes Ende.

Ich verdanke Samuel Fuller ein einschneidendes Kindheitserlebnis. Als Knabe spielte sich meine Kinowelt zwischen „Vier Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“ und „Asterix erobert Rom“ ab. Filmunterhaltungen bestanden daraus, sich gegenseitig minutiös zu erzählen, wie eine Schlägerei ablief („Und wie der dann so DOSCH gemacht hat!“) In unserer Stadt gab es vier Kinos – echte Kinos, jedes von ihnen mit nur einem Saal, ausladenden Vordächern, Süßigkeiten am Kartenschalter. Und Lämpchen am Platz (Verzehrkinos, euch gilt meine Liebe). Im „Germania“ hatte man sich spezialisiert: Am Nachmittag Kinderfilme („Die Schlümpfe und die Zauberflöte“), am Abend Lederhosen- und Schwedensexfilme. Dazwischen auch mal was im Stil von „Die Wildgänse kommen“, ein Film, der sich bei späterer Sichtung als recht harmlos erwies, allein dessen Plakat und die Berichte von anderen Jungs, die ihn gesehen hatten (oder es behaupteten) mein Blut in den Adern erstarren ließ. Ich war zehn, und schwankte zwischen Faszination und Schrecken, denn in einem Kriegsfilm war ich noch nie gewesen, hatte auch sonst nur eine sehr unklare Vorstellung vom Krieg (die sich vor allem aus Modellbauanleitungen speiste), und erwartete das Schlimmste. Also ging ich nicht rein, was nebenbei bemerkt, im finanzschwachen Germania kein Problem gewesen wäre. Aber: Nach einiger Zeit lief dann „The Big Red One“ im Germania an, wieder ein Kriegsfilm, wieder stand ich schaudernd vor den in den Glaskasten gepinnten Farbbildern. Und diesmal, inzwischen schwer gealtert, lenkte ich meine Schritte zaghaft, aber eben doch ins Kinofoyer. Ich war erschüttert. Von dem, was dargstellt wurde, aber auch davon, wie es dargestellt war. Ich tat einen ersten Blick auf das, was Kino eigentlich ist, und es war schrecklich. Ein Film, vor dem ich Angst hatte, und dann merkte, dass ich allen Grund dazu hatte. „The Big Red One“ ist für mich der archetypische Kriegsfilm geblieben, obwohl er fast komplett aus meiner Erinnerung verschwand. Und gleichzeitig wenige Filme seines Genres je seine Wirkung erreichten. Einzelne Bilder, wie der verzweifelte deutsche Soldat, der sich in einem Ofen des Krematoriums eines KZs hinter seinem Maschinengewehr verschanzt, bleiben in Erinnerung. Ich fühlte mehr, als dass ich es Begriff, mit welcher Macht dieser Film sein Thema, den Krieg in Europa, gestaltete, mit welchem bitteren Ernst. Und gerade dieser Ernst war es, den ich bis dahin nicht kannte und der mich erschreckte. Gewalt, die nicht komisch, sondern tödlich schmerzhaft war. Ich ahnte nicht, dass das Kunst ist, wusste nicht, wer Sam Fuller ist. Und musste nun nach langer Zeit wieder an „The Big Red One“ denken, als ich las (bei knoerer), dass eine annähernd wiederhergestellte Version des von Fuller ursprünglich geschnittenen Films in die Kinos kommt. Wobei ich zum ersten mal hörte, dass „The Big Red One“ in die Reihe der großen zerstörten Filme („Que Viva Mexico“, „The Magnificent Ambersons“, „Queen Kelly“) gehört: >>Fuller's own two versions had no narration. His first cut was 260 minutes, his second two hours. "Second cut they hated," he told me. "They wanted the elements of the four hours and 20 minutes. Sizewise, impossible. In my cut I took out sequences -- I don't circumcise or shorten scenes. That's when they hit the ceiling."<< Ja, darauf wäre ich wirklich gespannt. Das möchte ich gerne sehen – schade, dass es das „Germania“ nicht mehr gibt.

Früher, beim „Großen Preis“ mit Wim Toelke, ging es nicht nur an der Monitorwand um Allgemeinwissen. Jeder der Kandidaten war auch ein „Experte“, hatte ein Fachgebiet, um das es in der ersten und natürlich der letzten Runde ging. Wir erinnern uns: Ernsthafte Menschen in orangenen Plastikkapseln und der Schiedsrichter Eberhard Gläser (Namen, die man nie vergisst) mit seiner Glocke, unterstützt von – wiederum – Experten, die die Richtigkeit der Antworten beurteilen mussten. Es waren Experten zu Gebieten wie Tour de France, Hitchkock, Louis Armstrong und so. Mir kamen sie vor wie bessere Universitätsprofessoren. Mindestens. Was sie nicht wussten, war nicht zu wissen. Ich glaube, der Kult um diese Experten hat mir meinen bis heute fortwirkenden Respekt für die Versenkung in überflüssige Wissensgebiete eingepflanzt, so letztlich mein ganzes Studium beeinflusst. Dass es für den „Großen Preis“ reichte, sich den Inhalt von zwei, drei Büchern einigermaßen einzuprägen, war mir natürlich nicht klar. Für mich war das die Quintessenz des Begriffs „Wissen“. Auch dass es bei den Antworten in der letzten Runden Verhandlungsspielraum gab flößte mir Ehrfurcht ein. Hier war ein wahrer Fachdisput im Gange, es ging noch etwas zwischen „falsch“ und „richtig“. Der Respekt galt nicht nur dem breiten allgemeinen, sondern dem vertieften Wissen. Die Zeiten sind vorbei. Bei Jauchens ist das „etwas Wissen“ zu einem Glücksspiel geworden, je mehr man alles mögliche mal gehört hat, umso besser. Falsch und richtig ist eine ganz klare Sache, bei Multiple Choice bleibt kein Platz für Grauwerte. Irgendwie mehr wie Sport. Scheint mir irgendwie mit der Entwicklung vom Magister und Diplom hin zu Bachelor und Master zusammenzupassen. Der Raum für die Versenkung ins Überflüssige schwindet. Ich plädiere für eine rote Liste des überflüssigen Spezialwissens, und das mit guten Anlass: Die Slavistik in Kiel, also das Institut, dem ich meinen Magister und daneben einige der schönsten und wichtigsten Erfahrungen meines Lebens verdanke, soll dichtgemacht werden. Wie auch die Archäologie. Unsere Landesmütter und-väter nennen das im schönsten Technokratensprech „ stärkere Vernetzung der Hochschulen“, die bezwecken soll, dass: „die Dimensionen und Perspektiven der einzelnen Fächer auf der einen Seite und die Erwartungen der Studierenden und des Arbeitsmarktes auf der anderen Seite den Anforderungen der Zeit entsprechen". Der Arbeitsmarkt war natürlich schon immer das Hauptkriterium der Studierenden der Slavistik und der Archäologie. Und gerade diese Fächer müssen dringend an den Anforderungen der Zeit orientiert sein. Was heute offensichtlich bedeutet, sie zu beseitigen. Gut, dass Eberhard Gläser das nicht mehr erleben muss. Ich muss es leider.

http://www.uni-kiel.de/aktuell/pm/2004/2004-093-hochschulautonomie.shtml

Heute, 20.40 auf ARTE: "Virgin Suicides". Konkurriert mit dem Livefernsehfilm im ZDF, aber: ein Lob der modernen Technik!

virginsuicides

Der Film ist mir damals vor allem wegen seiner mysteriösen, sinnlichen, fließenden Stimmung in Erinnerung geblieben, bekannt war mir eigentlich nur der Nachname der Regisseurin. Doch mit der Zeit entlarvte er sich als Film, der früh vieles zusammenführte, was später wichtig sein sollte: die tolle Sofia Coppola, Jeffrey Eugenides ("Middlesex"), der die literarische Vorlage hat springen lassen, Kirsten Dunst in einer schon damals verhangenen Rolle (Ihre Augenlider! Ich mag das.) Und zu guter letzt: die wunderbare Musik von Air. Hat mir damals alles noch nix gesagt. Heute ist das natürlich ganz anders (nur Eugenides hab ich noch nicht gelesen), und das ist nun wirklich ein Grund, dem Streifen nochmal die Ehre zu geben und zu sehen, was er mir jetzt zu sagen hat.

Mal anknüpfend an die Diskussion um "Troja". Beim Wiedersehen von "To Live and Let Die" fiel mir auf, wie angenem es ist, echte, durchgeplante, komplett am Set umgesetzte und gefilmte Stunts zu sehen.

lald1

Die sind da mit den Booten wirklich über diese Landengen gesprungen, Respekt, das schaue ich mir gerne an.

Nach den letzten Jahren digitaler SFX hat die Herzfrequenz beim betrachten digital bearbeiterter Actionszenen doch enorm nachgelassen - oder falsch, weniger die Herzfrequenz, die kann immer noch hoch sein, wenn diese Szenen spannend inszeniert sind. Nur sind es eben meist nicht die Effekte, die einem noch den Atem rauben. Im Gegenteil - oft schaut man garnicht mehr so genau hin, ist ja eh alles nicht echt. Meine Wahrnehmung digitaler SFX nähert sich immer mehr dem Blick an, mit dem ich als Kind Trickfilme sah.

roadrunner

Vor etwa zwei Jahren sah ich an einem Abend "The Bourne Identity" und "Minority Report". Zwei sehr ähnlich Filme, dabei: Der erste sehr handgemacht, beim zweiten fast jedes Bild aus dem Computer. Und gerade bei "The Bourne Identity" mochte ich die Verfolgungsjagd durch Paris, die angenehm unspektakulär war, und dadurch, dass die Fahrzeuge keine unmöglichen Sachen machten, sondern sich innerhalb der Grenzen der Physik und dessen, was man gemeinhin so mit Autos und Motorrädern machen kann, blieben, eine Materialität hatte, die bestach. Die klarmachte, dass die verfolgenden Motorrad-Polizisten nicht nur nicht explodieren, sondern einfach nicht hinfallen möchten, weil das auch schon ziemlich weh tut. Und die deswegen ihre Motorräder anhalten und komisch mit den Füßen paddelnd umdrehen, wenn sie eine Kurve nicht gekriegt haben. Wohingegen, mit Hilfe welchen irren Gadgets Tom Cruise nun wieder seinen Häschern aus einer eigentlich ausweglosen Situation entfleuchen würde, eigentlich egal ist. Digitale SXF-Action und ihr "everything is possible", sach ich ma, stehlen das Staunen am irren körperlichen Kuststück, das gerade dadurch entsteht, dass das, was vorgeführt wird, außerhalb des normal Erlebbaren liegt, aber eben nur ein kleines Stück. Und verschieben dieses Staunen auf das Staunen über den Effekt.
Aber wenn man bei ersten Sehen noch staunt, wird man es beim zweiten nicht mehr so dolle, erst recht, wenn der Effekt altert. Und das tun Effekte. So tragen viele Filme, die es eigentlich nicht verdienen, eine Zeitbombe in sich.
Uns bleibt Buster Keaton.

7kd3

(nach Sichtung von "to catch a thief")

"Le cercle rouge" ist genau das Stück antipsychologischen Erzählens, das ich mir versprochen habe, und das Meisterwerk, das M. mir versprochen hat. Ein Film der so filmisch ist, wie Film nur sein kann. In dem alles erfundener, gestalteter Raum ist und doch überwältigend glaubwürdig in seiner Gegenwart. Vielleicht war ich zu jung, als ich die ersten Melville-Filme gesehen habe. An so eine Meisterschaft kann ich mich nicht erinnern, nur an gute kalt-traurige Krimis. "Bob le flambeur", den ich kürzlich wegen "The Good Thief" zum ersten Mal gesehen habe, war auch sehr gut. Aber etwas anders. Mit welchem Film genau hat eigentlich diese Reihe über lebende Tote begonnen? Danke M.!

Gestern endlich "Streets of Fire" gesehen. Außer dass da eine Gruppe unterwegs war, um irgendwas zu machen, und Amy Madigan eine hässliche Frisur hat und (auf Deutsch) ungeheuer prollig daherredet, nichts erinnert. Aber das ist gut so, denn ich bin sicher, dass es mir damals, beim ersten Sehen, nicht gefallen haben kann. Am Ende hätte ich ihm keine zweite Chance gegeben.
Zu treibender 80er-Rockmusik (da kenn' ich mich nicht so aus, darum keine bessere Beschreibung) liest man nacheinander: "Streets of Fire", "A Rock&Roll Fable", "Another Time, Another Place". Daran kann man und soll man das Folgende messen. Und das erste Versprechen wird sofort eingelöst. Das schwarze Bild wird gleichsam weggehobelt (diese Technik bleibt ständiges und häufiges Stilelement) und auf nassem Asphalt züngeln Farben wie Flammen, ein abstraktes Bild, das erst durch einen Kameraschwenk aufgelöst wird. Es handelt sich um die Leuchtreklame einer Konzerthalle, in die gerade die Besucher für ein Ellen-Aim-Konzert strömen. Die Atmosphäre ist aufgeregt bis aufgeladen, dieses Konzert ist das ganz große Ding, denn Ellen Aim kommt aus der Gegend und hat es zum Star gebracht (erfährt man aber alles erst später). Im Verlauf dieses Konzerts wird Ellen (Diane Lane) von einer Bande Fifties-Rocker mit starkem Fetisch-Einschlag unter der Führung von Raven (Willem Dafoe) scheinbar ohne weiteren Grund entführt. ("I just get excited around beautiful girls", was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist, denn einmal mit der zumal gefesselten Ellen allein, strahlt Raven alles andere als sexuelle Gier aus, das sollen wohl eher die Kumpels denken.) Eine junge Frau, Reva (Deborah van Valkenburgh), weiß, was zu tun ist, und ruft ihren Bruder Tom Cody an, einen Ex-Soldaten, der mal mit Ellen liiert war. Der kommt auch sofort, schlägt ein paar Arschlöcher, die in Revas Bar Stunk machen zusammen, ruiniert dabei das Schaufenster und sorgt so für den ersten Knaller-Dialog. Er zeigt auf das Auto der Arschlöcher und fragt: "What about your new car?" Reva: "You can sell it and buy me a new window." Eigentumsdelikte werden auch in der Folgezeit keine Strafverfolgung nach sich ziehen, denn in Another Time & Place ist die Polizei entweder hoffnungslos unterlegen oder korrupt und desinteressiert. Cody lernt als nächstes den Manager und augenblicklichen Geliebten von Ellen kennen, Billy Fish (Rick Moranis), einen ständig herumschnauzenden schmächtigen Nerd im Karo-Anzug, und nimmt für 10,000 $ den Auftrag an Ellen zu suchen. Das Verhältnis zwischen Tom und Billy respektvoll zu nennen, wäre falsch. Auf einer Wellenlänge ist Tom eher mit McCoy (Amy Madigan), einer Ex-Soldatin, die gerade im Zuge einer unter normalen Umständen harmlosen Streiterei einen Barkeeper (Bill Paxton) niedergeschlagen hat und, bevor sie sich selbständig aus der Bar bedient, Tom noch fragt, was er trinken wolle. "I've always been a Tequila man." Gesagt, getan, Alkohol und Schläge, man versteht sich und es ist schnell abgemacht, dass McCoy bei der Suche nach Ellen behilflich ist. Die ist, wie jeder weiß, im "Battery", dem Veranstaltungszentrum, das Raven und seiner Gang als regelmäßiger Aufenthaltsort dient. Befreiung gelingt, Reunion der Liebenden Tom und Ellen, Ravens Rache folgt, Polizei will nicht oder kann nicht eingreifen ("Well, my plan went to shit"), delegiert die Initiative an Tom ("Let's see how you do. Kick his ass!"), Showdown, Sieg der Guten, Niederlage der Liebe, Unhappy Ending vor dem Hintergrund eines weiteren Ellen-Aim-Konzerts, die mit dem Song, den sie singt, während Tom sie verlässt, schon dessen Abgang betrauert.
Wäre das alles, "Streets of Fire" wäre nicht mehr und nicht weniger als ein stinknormaler Exploitation-Reißer. Schnell, kaltschnäuzig, einfache Motivationen, kondensierte Dialoge, harte Action. Kohärenz der Story ist auch nicht der Kitt der diesen Film zusammenhält, es ist vielmehr Stil. Wenn Jesse in "Before Sunset" sagt, er wolle ein Buch schreiben, dessen Handlung nur die Dauer eines Rocksongs habe, meint er sicher nicht etwas wie "Streets of Fire" (ist ja auch kein Buch), aber die Beschreibung liegt nahe dran. Um diesen Gedanken ein wenig zu verfolgen: Man hört wie schon beschrieben am Anfang Rockmusik, dann reißt das Bild auf, man bekommt ein Konzert zu sehen und am Ende steht wieder ein Konzert. Und innerhalb der Konzerte bilden auch der Auftritt des bösen Raven und der Abgang des guten Tom eine Klammer, sie sind nahezu identisch gestaltet. Jeweils kommentieren die von Ellen gesungenen Songs die Handlung. Im ersten heißt es We're going fast nowhere, im letzten geht es darum, wie schnell alles vorbei ist, die Jugend, die Liebe. Sieht man das als Bild, dann heißt das doch wohl nix anderes, als dass der Kern eines Rocksongs die Geschwindigkeit, die Liebe, besser: Boy meets girl, und die Vergänglichkeit stecken.
Und so inszeniert Walter Hill seinen grandiosen Film denn auch. Es ist ihm tatsächlich ernst mit seiner Rock&Roll Fable. Er sucht immer nach extremen Oppositionen, die er in prächtige Farbbilder bannen kann. Streets of Fire ist z.B. als zentrale Metapher häufig visuell präsent. Die Straßen sind immer nass, aber auch so heiß, dass es ständig dampft. Und wenn das brennende Benzin aus den zerschossenen Motorradtanks die Straße benetzt, dann hilft auch kein strömender Regen, um dieses Feuer zu löschen. Hier kämpfen Elemente. Und zwar ständig. Und wo das Leben ein einziger Kampf ist, kann die Liebe nur Traum oder Atempause sein. Mann und Frau können nur miteinander auskommen , wenn sie beide Krieger sind (Tom und McCoy), dann verliert die Frau aber ihre weiblichen Attribute, oder wenn der Mann seine männlichen Attribute verliert (Billy &Ellen). Das hat dann aber mit Leidenschaft nichts zu tun. Leidenschaft ist nur für den Einzelgänger möglich, Bindung aber nicht. Das klingt schlicht, aber der Film ist eine Phantasie, eine Fabel, er erzählt beispiel- und nicht vorbildhaft, er enthält keine Utopie. Er stilisiert Klischees an den Rand der Lächerlichkeit und erreicht eine berauschte Erhabenheit neben der sogar noch knochentrockener Witz einen erstaunlich selbstverständlichen Platz hat.
In der Mitte des Films dann eine Art Bekenntnis: Die erste Rückkehr der erschöpften Helden wird ultrarhythmisch, mit Schwarzbildern dazwischen, gegen Bilder der singenden Ellen ("I'm tired") geschnitten. Hier ist der Videoclip nicht mehr zu leugnen. Und wird auch nicht. Die Kamera fährt zurück und man sieht, dass die Zwischenschnitte aus einem Videoclip von Ellen stammen, der gerade im Fernsehen läuft. Ästhetisch, das macht dann der folgende Schwenk klar, bleiben wir in einer Kunstwelt.
Im Showdown lässt Hill dann Schwarz gegen Weiß antreten, Teufel gegen Engel, Raven gegen Tom (einmal singt Ellen von einem Engel, den sie nicht bekommen kann, und man sieht dazu Toms Gesicht, das nächstbeste ist aber ein "boy", das ist dann wohl Billy Fish, der auch tatsächlich ziemlich boyish ist in seinem untauglichen Bemühen, den großen Macker zu geben.) Sie kämpfen mit Hämmern (!) und immer wieder bilden sie im Kampf mit den Griffen ein Kreuz. Raven unterliegt, verliert seinen Hammer - folgerichtig, denn schon vorher wurde seine Impotenz angedeutet. Allerdings - so fällt mir gerade auf - ist gar nicht so klar, um wen der androgyne Raven da eigentlich kämpft: um Ellen oder um Tom. Derweil ruht der ohnmächtige Billy Fish in den Armen eines Polizisten - eine kuriose Pieta.
In den Anspielungen vielleicht nicht immer kohärent, in seiner Verrücktheit, alle Bilder aus Pulp-Ikonographien zu gewinnen, um ins Herz des Rock&Roll vorzustoßen, sie nicht auseinander, sondern nebeneinander zu entwickeln, ist "Streets of Fire" ein großer Film. Hab ich gerne wiedergesehen. Aber warum indiziert????

Seit Wochen warte ich darauf, dass "Streets of Fire" endlich auf DVD erscheint, damit ich ihn mir kaufen kann. Ich bin immer kribbliger geworden, denn der Film ist ab 18. Das allein reicht noch nicht fürs Kribbeln, aber dass ich ihn bisher nur im Fernsehen gesehen habe, schon. Denn jetzt huschen doch allerhand Pantasien durch den Kopf, was da alles noch zu sehen ist, bisher vor mir verborgen. Na ja, ein bisschen wird dieser Abgleich dadurch verwässert, dass ich mich an fast nichts mehr erinnere. Kribbeln tut's trotzdem. Vor einiger Zeit habe ich mir nämlich "The Warriors" gekauft, an den ich mich ebenfalls nicht erinnern konnte, nur an ein mittelmäßiges Gefühl. War ebenfalls im Fernsehen. Auch geschnitten. Beim Wiedersehen bzw. Neusehen gab's dann ein Aha-Erlebnis. Diesen Film hatte ich tatsächlich noch nicht gesehen. Einerseits total körperlich, sinnlich. Auf jeden Fall sehr oberflächenbetont und sehr rhythmisch. Und total stilisiert. Aber es ist so eine merkwürdige Art Macho-Stilisierung, die total zerbrechlich und fast übersensibel ist. Manche meinen, das sei sehr nah am Videoclip dran, was ich schon nachvollziehen kann. Aber es ist nicht Effekt, was "The Warriors" ausmacht, sondern Stil. Jedenfalls völlige Begeisterung. Und gestern habe ich mir dann "Streets of Fire" gekauft. Der ist sogar indiziert, so dass man sich die Tür aufsummen lassen muss, die auch zu den Pornos führt. "A Rock & Roll Fable". Ich kann's kaum erwarten. Gestern habe ich nach fünf Minuten abgebrochen, weil ich wusste, ich bin zu müde. Im Bett war ich dann zu aufgekratzt, um sofort einzuschlafen. Wenn "Streets of Fire" hält, was ich erwarte. Walter Hill ist jetzt erstmal eine Zeitlang ganz oben. In fünf Jahren: "The Warriors" (1979), "Southern Comfort" (1981), mit Abstrichen "48 Hrs." (1982) und "Streets of Fire" (1984).

Während gerade der Regen niederprasselt, sich das Büro verdunkelt hat, die Stimmung eigentlich ganz gemütlich ist und das, was an Arbeit anfällt, zwischen zwei zusammengepresste Fingerkuppen passt, muss ich an Melville denken. Nicht wegen irgend eines besonderen Zusammenhangs, sondern nur, weil es hier ein bisschen nach Rauch riecht. Ich habe mir vor Kurzem von einem Freund das Versprechen abnehmen lassen, schnellstmöglich Le cercle rouge anzusehen. Und meine Meinung zu der Ästhetik abzugeben. Werd ich tun. Wahrscheinlich heute. Und da musste ich an Le samourai denken. Hab' ich im Kino gesehen (Berlinale, Delon-Retro, Cinema Paris, ich musste auf dem Boden im Gang sitzen und mir ist eine Wasserflasche umgefallen und hat meinem Vordermann das Gesäß befeuchtet und das, wo Alain Delon da war und einen Blumenstrauß bekommen hat und ... Opa erzählt die besten Geschichten. In seligem Gedenken an Sondermann und Bernd Pfarr), im Fernsehen, auf Video, also dreimal. Und konnte ich mich an den Anfang erinnern? Nein. Selbiger Freund sagte vor einiger Zeit vom Bier aufblickend: Und dann dieser Anfang von Le samourai. Ich sagte, ja stimmt! Und dachte: War ja ein toller Film, wird also wohl auch einen tollen Anfang haben. Du weißt, was ich meine, fragte der Freund. Wusste ich natürlich dann nicht. Also angucken. Der Freund (er)zählte mit: So, da, Rauch (Geruch s.o.), der Käfig, Vogelzwitschern und jetzt, da! Und ich sah Schockierendes. Erschütternd. Musste mir erst der Kumpel die Tomaten von den Augen reißen. Wo schaue ich denn hin, wenn so ein Film anfängt? Seht's Euch selber an. Beschreibung nützt nix. Klingt dann harmlos. Ich hab's versucht, aber wieder gelöscht. Diese erste Einstellung ist wirklich modern (soweit ich beurteilen kann). Auf Le cercle rouge freue ich mich jetzt beim Schreiben immer mehr. Und abseits jeder Definition wird man dem Tod bei der Arbeit zuschauen können.

 

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