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95 Thesen

Man muss sich ja ernsthaft Sorgen machen. Nein, ich habe mir die gaze Debatte, die losbrach, als das ZDF mit seinem Plan auf den Plan trat, eine "Das beste deutsche Buch"-Sendung zu machen, nicht reingetan. Weil da einfach jedes Wort zuviel gelesen ist. Und nun doch - hoppla - zugeschaltet, als gerade die Top 10 verhandelt wurden. Von dem in diesem Setting ernsthaft grenzdebil rüberkommenden Kerner moderiert, mit einem Karasek, dem man zugutehalten muss, dass er irgendwie das Beste rausholen wollte. Begeisternd der Moment, als Karasek (dafür hab ich ihn dann doch gern) auf Kerners Frage zu den Buddenbrooks (er sagte "brocks" wie in "Brockhaus)", ob die uns denn heute noch was sagen, vorschlug ja, durchaus, da wird ja der Niedergang einer Gesellschaft beschrieben, ihrer Wirtschaft, ihrer Werte, und dasselbe passiere doch heute mit der Nachkriegsgeneration...
Kerner griff ein: "Sie meinen, dass die älter werden?" Nein, man sehe heute doch überall wirtschaftlichen Niedergang, und das sei doch bei Mann... Oh Gott, wir machen hier Unterhaltung!!! Die Leute wollen abends nach der Arbeit doch nicht schon wieder was von der bösen welt da drau0en hören!
Schnell jemand anderes was belangloses Fragen, wer hat mir nur diese Leute hier hingesetzt. er hat sich wohl eher Jeanette Biedermann ausgesucht, die mehrmal als Kronzeugin für die topgevoteten Bücher auftretenn durfte. Oder Markus Wasmeier. Das sind Experten.
Nein, Kerner und Konsorten interessieren sich nicht für das, was Literatür ausmacht, er findet, man solle Bücher "kaufen, lesen und nutzen." Nutzen? Zu was denn, wenn man sie gelesen hat? Schlimme Befürchtungen steigen in mir auf, Johannes "Buch" Kerner. Er freute sich besonders über seinen Einfall, die Menschen hätten ja offensichtlich jene Bücher nach vorne gevotet, die sie in eine andere Welt entführten, ins Mittelalter, in die Fantasie...
Ja, so sind Bücher von Nutzen: Um uns von der Welt abzulenken, nicht um uns verarbeiten zu helfen, was um uns vorgeht.
Das passt dann auch wieder ins ZDF wie Arsch auf Eimer, denn genau nach dem Motto wird hier auch Programm gemacht.

Gut dann auch A. Schwarzer und O. Fischer, die beide kein Hehl aus ihrer Verachtung für den "Kleinen Prinzen" machten. Aber sie sehen wohl einfach nicht mit dem Herzen. Gut, dass wir drüber abgestimmt haben.

Wenn ich einen Film noch nicht gesehen habe, aber schon mehr als die Hälfte der Zeit, die dieser Film dauert, damit verbracht habe, etwas über ihn zu lesen, und ihn mir dann nicht anschaue, fühle ich mich zwei Wochen später irgendwie leer. Erkenne ihn aber beim ersten Hinschauen, wenn er Jahre später im Fernsehen läuft.

Also werde ich mir "Der Untergang" und "The Village" wohl anschauen.

Gangs of New York. Wie will man den ins Schaffen von Scorsese einordnen? Das Finale des Films wird ja sehr deutlich: Man sieht im Vordergrund den Friedhof, auf dem Bill the Butcher west, im Hintergrund die sich durch die Zeit immer höher und höher aufwerfende Skyline New Yorks. Und DiCaprio endet mit dem Satz, dass man sich an sie alle nicht mehr erinnern wird. Und tatsächlich, man fragt sich doch den ganzen Streifen über: Was war da los? War das wirlich so, so archaisch, so wild, und wieso hab ich eigentlich nie was davon gehört, wieso, wo ich doch die amerikanische Geschichte wie aus dem ff (Film / Fernsehen) zu kennen glaube? Wieso bezieht sich der große amerikanische Mythos eigentlich so ausschließlich auf die Westgewinnung? Und vor allem: War das alles wirklich zur GLEICHEN ZEIT?
Dieses seltsame Gefühl der Ungleichzeitigkeit von Cowboyland und aufdämmernder Moderne, das ja auch das von Ost- und Westküste ist, befiel mich zum ersten Mal als Kind, als in einem Zorro-Film (Western von Gestern) ein Auto auftauchte. Was hatte denn das bitteschön da verloren??? In meiner Empfindung waren Western allgemein eher dem Mittelalter zugeordnet...
Im Western hat es um Pferde und Handfeuerwaffen zu gehen, und ich denke, ich bin mit diesem Gefühl nicht allein: Einer der großen Hingucker im Italo-Western-Revoluzzer-Genre war schließlich das Maschinengewehr, das in einem anständigen Reiterfilm ja auch nichts verloren hat. Oder das Motorrad in "Todesmelodie".
Später musste ich dann bei der idealisierenden Haltung des klassischen Western an das Nibelungenlied denken, das heute allgemein als Dokument einer entschwundenen Vergangenheit empfunden wird, tatsächlich aber bereits die romantische Sehnsucht der höfischen Gesellschaft des Hochmittlealters nach ritterlicheren Zeiten dokumentiert, die auch für sie schon einige hundert Jahre zurücklagen.
Und genau so natürlich ist mir eben durch viele viele Kindheitswestern der ideale, vormoderne Westen Und jeder Western, in dem sich wieder etwas Moderne breit macht, wird von mir als irgendwie unharmonisch empfunden wird, immer noch ein kleiner Skandal.

Tatsächlich ist die garnicht so weit entfernte Vergangenheit New Yorks komplett verschütt und muss erst wieder ausgegraben werden, hier ein Bild von Ausgrabungen in Five Points, dem Slum, in dem "Gangs of New York" spielt.

ph94m

So sieht es da heute aus:
ph8

Scorseses Film, so die These, ist ein ähnliches Ausgrabungsloch in der intakten, linearen Filmgeschichtsschreibung des amerikanischen Kinos.

Und so ließ Scorsese nachbauen, was er gefunden hat, nicht nur der Archivar, auch der Archäologe New Yorks, der Verschwundenes birgt, um es seinem Archiv hinzuzufügen.
gonyset7

Die Ungleichzeitigkeit, die ich in anderen Filmen ja nur als Zuschauer empfunden habe (etwa auch in "the big country") greift Scorsese hier explizit auf - sie schlägt brutal auf die ihren Stammesritualen nachgehenden Slummenschen durch, die von einer der ersten modernen Armeen zusammengeschossen werden, plötzlich in ihrem archaischen Putz hilflos in einem Chaos stehen, das weit größer ist als das, das sie selbst entfachen können. Und die von dieser Armee (der der Nordstaaten in Sezessionskrieg) dann auch noch quasi nebenbei, weil sie beim eigentlichen Kampf mit ihrem veralteten Duell gerade in die Quere kommen, erledigt werden. Das neue New York, das also nicht aus dem Zusammenprall der Kulturen geboren wird, sondern von denen gebaut wird, die den Zusammenprall der Zeiten überstehen.

Scorsese hat diese Ungleichzeitigkeit schon vorher, in "Age of Innocence" wirksam ins Bild gesetzt, als er die Paläste, in denen die Bälle und Intrigen der Handlung stattfinden, in einer Panorama-Aufnahme von außen zeigt, und man sieht, dass sie einsam in einer Brachlandschaft stehen, wie sehr im entstehen dieses New York noch ist, während ein paar tausend Kilometer weiter westlich die Cowboys die großen Herden treiben.
Hier etwas von diesem Set:

age5


New York als Stadt der Ungleichzeitigkeit, der sich überlappenden zeitlichen Ebenen, die die der Ehtnien und Subkulturen spiegeln. Ein Gegenentwurf zu der geregelten mythischen Geschichtsschreibung des Hollywood-Kinos.
Dazu, zurück zum einordnen, gehören eben auch die frühen New York-Filme, natürlich auch Mean Streets: Was, das ist nur 100 Jahre später? Rasant, rasant, da werden weniger dicke Schichten leicht zerkrümelt und vergessen.
Mean_Streets
Ein Plakatmotiv übrigens, das das für "Gangs of New York" sein könnte - nur etwas später eben: Die Stadt und die Gewalt.

Sehr lesenswerte Infos zu den Ausgrabungen in Five Points: http://r2.gsa.gov/fivept/fphome.htm

Tschechow sagt: „Wenn in der ersten Szene ein Gewehr an der Wand hängt,muss spätestens in der letzten Szene damit geschossen werden“.
ich sage: wer in der ersten halben Stunde im Film mehrmals leicht hustet, stirbt demnächst an Tuberkolose. In Filmen ohne Tuberkolose wird nicht gehustet. Erweiterung dieser These: Wer, wie Uma Thurman in Kill Bill oder Brendan Fraser in "Der stille Amerikaner" damit kokettiert, dass er die Sprache des Landes, in dem er sich befindet, nicht beherrscht, und lachend die drei Worte hersagt, die er aufgeschnappt hat, spricht diese Sprache in Wirklichkeit fließend.
Das wird zu überprüfen sein.

 

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